Lidl Balkonkraftwerk im Check: Täuscht der Discounter die Verbraucher? – Update

Discounter Lidl bietet ab 17. Mai eine 150-Watt-Solaranlage an. Die angegebene Ersparnis verwundert sehr.

Auf den ersten Blick klingt das Angebot eines Lidl Balkonkraftwerk für 199 Euro verlockend: Der Discounter nutzt ganz offenbar seine Größenvorteile, um ein wirklich attraktives Schnäppchen in seinen Filialen und online anzubieten. Doch bei genauerem Hinsehen kommen Zweifel: Werden die Verbraucher mit unrealistischen Zahlen getäuscht? Wieso unterscheiden sich die Angaben in Katalog und Webshop voneinander? Welche Qualität hat der Mikro-Wechselrichter der Lidl-Eigenmarke Parkside? Cleanthinking hat das Solar-Angebot gecheckt.

Nach netto, Anker oder Expert nun also Lidl: Balkonkraftwerke liegen voll im Zeitgeist – und das ist grundsätzlich auch gut so, weil die Steckersolargeräte die Energiewende unterstützen und mittlerweile viele Vereinfachungen auf den Weg gebracht werden. Das Angebot von Lidl bringt aber ganz im Gegensatz zu dem Angebot von netto von vor einigen Wochen keine 600 Watt, sondern kommt mit einem Mini-Solarmodul mit einer Peak-Leistung von 150 Watt daher.

Als Wechselrichter (Micro Inverter PMW 300) bietet Lidl einen Mikro-Wechselrichter seiner Eigenmarke Parkside. Die hat bei Werkzeugen keinen schlechten Ruf. So richtig zusammen passen ein 300-Watt-Wechselrichter und ein 150 Watt Solarmodul aber nicht. Zwar verweist Lidl darauf, man könne ein weiteres 150-Watt-Modul anschließen – da sich aber generell eine 20-prozentige Überdimensionierung des Wechselrichters im Vergleich zum Solarmodul empfiehlt, passt es dann auch nicht wirklich zusammen.

Das Solarmodul, das laut Beschreibung über einen Aluminiumrahmen verfügt, wird als besonders langlebig und witterungsbeständig beworben. Sowohl eine Leistungsgarantie über 25 Jahre als auch eine Material- und Verarbeitungs-Garantie über 10 Jahre werden angeboten. Die Abmessungen des Solarmoduls sind auch für kleine Balkone passend: L 1070 x B 775 x T 35 Millimeter.

Kuriose Amortisationsrechnung

Kurios ist aber die Amortisationsrechnung, nach der sich das Lidl-Angebot in weniger als drei Jahren rechnen soll. Im Prospekt kalkuliert der Discounter mit Zahlen, die eher Verbrauchertäuschung darstellen als realistische Größenordnungen.

Konkret:

  • Der Strompreis wird mit 48,12 Cent pro kWh angegeben. Viel zu hoch. Laut Verivox liegen die Strompreise für Neukunden derzeit bei 32 Cent je kWh: Strompreisentwicklung 2023: So entwickelt sich der Strompreis (verivox.de)
  • Daneben wird mit 1.300 Volllaststunden kalkuliert. Das mag in einzelnen Regionen Süddeutschlands so sein, aber realistisch sind eher 800 bis 900 Volllaststunden.
  • Ebenfalls seltsam mutet der Gedanke an, dass der Haushalt jede Kilowattstunde wird nutzen können – wer hat schon am Sommermittag um 12 Uhr, wenn das Solarmodul seine 150 Watt liefert, einen entsprechenden Verbrauch? Wer Zuhause arbeitet, kann das ausnutzen. Ist die Wohnung leer, ist es eher unrealistisch.
  • Und es wird nicht weniger kurios: Im Prospekt rechnet Lidl also von einer Ernte von 195 Kilowattstunden. Auf der Webseite steht hingegen, das Komplettpaket eigne sich für 100 Kilowattstunden pro Jahr (was wesentlich realistischer erscheint).
  • Weil mit völlig dubiosen Zahlen gerechnet wird, soll sich so eine Amortisationszeit des Angebots von weniger als drei Jahren ergeben – im Jahr soll es eine Ersparnis von 93 Euro geben.

Ja, Lidl schränkt die Rechnungen ein und verweist darauf, dass es Abweichungen geben könne. Trotzdem sind die vollkommen unrealistischen Annahmen sehr nah dran an der Verbrauchertäuschung.

Nutzt man zum Vergleich den Priwatt Ertragsrechner, kommt man mit einer Stecker-Solaranlage mit zwei Modulen und einem 1-Personen-Haushalt auf zirka 99,30 Euro Ersparnis pro Jahr. Und das mit zwei 300-Watt-Modulen im Vergleich zu einem 150-Watt-Modul.

Lidl Balkonkraftwerk mit Einspeisesteckdose

Laut heutiger Regularien des VDE wird für eine Balkonsolaranlage die Nutzung einer Einspeisesteckdose empfohlen. In der Regel werden die Anlagen aber mit Schuko-Stecker angeboten – zuletzt hatten Netzagentur und VDE sowie Wirtschaftsministerium in der PV-Strategie für die Zulassung des Schuko-Steckers plädiert.

Das Lidl Angebot hat also einen Stecker, der nur mit der Einspeisesteckdose funktioniert. Und diese darf – so steht es im Kleingedruckten – nur von einer Elektrofachkraft installiert werden. Wer also hofft, das Lidl-Kraftwerk zu bestellen und schnell anschließen zu können, schaut in die Röhre.

Als Lösung bleibt das Warten auf eine Elektrofachkraft einerseits oder die Beschaffung eines alternativen Kabels von Betteri beispielsweise:

Die Auslieferung mit Einspeisesteckvorrichtung ist Lidl indes nicht vorzuwerfen – es entspricht eben heute noch den geltenden Normen. Unglücklich ist es aber, weil Verbraucher so nicht wirklich direkt ihr passendes Solarkraftwerk nutzen können. Das schadet dem Ruf der Einfachheit.

Was taugt der Wechselrichter?

Letztlich gibt es, schaut man sich im Web um, auch noch ein paar Bauchschmerzen bezüglich des verwendeten Wechselrichters. Wer exakt der Hersteller des als Parkside gelabelten Mikro-Wechselrichters ist, ist nicht klar. Aber: Angesichts des Gesamtpreises von 199 Euro für das Angebot bei Lidl ist auch klar, dass es sich nicht um ein Premiumprodukt handeln dürfte.

Von der Nutzung von Billig-Wechselrichtern ist aber in der Regel abzuraten. Ein Beispiel hier ist in diesem Video beschrieben worden:

Nochmal: Es ist nicht klar, ob es sich bei dem Lidl-Wechselrichter um ein Gerät handelt, das ebenfalls anfällig für Überhitzung und Fehler ist. Aber was passieren kann zeigt das Video eindrücklich. Und genau das muss im Sinne der Energiewende unbedingt verhindert werden.

Das Kraftwerk von Lidl ist bereits online käuflich zu erwerben für Privatpersonen. Die Kosten liegen bei 199 Euro zzgl. 4,95 Euro Versandgebühr. Ab dem 17. Mai soll es das Kraftwerk für Solarstrom auch in den Filialen geben. Der Versand bei Online-Kauf ist für den 17. bis 20. Mai vorgesehen. Es ist davon auszugehen, dass der Discounter jede Menge Logistik in Gang gesetzt hat, um die Solarmodule mit Wechselrichter und Schuko-Stecker schnell unters Volk zu bringen.

Update vom 22. Mai 2023:

Inzwischen warnen mehrere Youtube vor dem Angebot. Insbesondere aufgrund des Wechselrichters. Beispielsweise „Der Fachwerker“:

Fazit: Steckersolargeräte vom Discounter

Die Energiewende braucht jede Kilowattstunde. Von daher ist die Verbreitung der Mini-Solaranlagen absolut zu begrüßen. Wenn allerdings – wie im Falle dieses Beispiels – dubiose Zahlen das Angebot bestimmten, sollten alle Alarmglocken schrillen. Es wird sicherlich nach dem 17. Mai 2023 Testberichte rund um das Solarkraftwerk geben, dann kann die Technik und die Qualität des Montagesystems noch klarer beurteilt werden.

Aus heutiger Sicht ist die Skepsis groß im Hinblick. 150 Watt Erzeugung sind eher als „Spielzeug“ zu bezeichnen. Und die 199 Euro ein Lockangebot, weil weitere Kosten für Stecker oder Handwerker hinzukommen. Echte Solaranlagen für den Balkon gibt es ab 500 Euro – vielleicht ist man doch besser beraten, zu einem solchen Angebot zu greifen, auch wenn das Lidl-Angebot verlockend klingt.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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