Europa hat Bedarf für zehn bis zwölf Chemieanlagen, die Lithium-Konzentrat zu Lithiumhydroxid für die Batterieproduktion verarbeiten.
Bei der öffentlichen Debatte über Lithium als Rohstoff für Batterietechnologien etwa für Elektroautos wird zumeist nicht unterschieden zwischen dem Konzentrat, das gefördert wird, und den Batteriechemikalien. Als solche Chemikalien eignen sich besonders LiOH, Lithiumhydroxid, und Lithiumkarbonat, Li2CO3. Der Haken: Während die Rohstoffe in vielen Ländern, etwa in Chile, Brasilien oder Kanada, gewonnen werden, gibt es Raffinerien, die daraus hochreines Li-Hydroxid machen, fast ausschließlich in China angesiedelt. Die beiden Cleantech-Unternehmen AMG aus den Niederlanden und Rock Tech planen nun entsprechende Chemieanlagen in Ostdeutschland.
Wenn EU-Kommissar Maros Sefcovic über die europäischen Ambitionen für Elektroautos und Batterien dafür spricht, kommen meist große Worte: „Wir bauen eine neue Industrie in Europa“, so Sefcovic kürzlich. „Mit einem komplett neuen Ökosystem. Die Investitionen fliegen geradezu herein.“ Auf dem ganzen Kontinent werden derzeit Fabriken für Elektroauto-Batterien angekündigt oder gebaut: In Schweden, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien oder Polen beispielsweise. LG Chem produziert in Polen Zellen und Batterien für Volkswagen und Renault mit einer Jahresproduktion von 15 Gigawattstunden – und hat Pläne die Kapazität auf 65 Gigawattstunden auszubauen.
Alleine in Deutschland bauen Marktführer CATL in Thüringen, SVOLT im Saarland, Farasis in Sachsen-Anhalt, Tesla Microvast und BASF (Kathodenmaterial) in Brandenburg und schließlich Volkswagen nach der Übernahme des Werkes von Northvolt in Niedersachsen. Volkswagen plant sechs Zell-Produktionswerke bis 2030 mit einer Kapazität von 240 Gigawattstunden.
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Erste Raffinerie in Europa
Laut Dirk Harbecke vom kanadischen Cleantech-Unternehmen Rock Tech braucht es in Europa künftig zehn bis zwölf solcher Raffinerien, um den Bedarf der hiesigen Hersteller zu decken. Sein Unternehmen, das in Kanada über eine Mine für die Förderung von nachhaltigem Lithiumkonzentrat verfügt, will in Ostdeutschland 400 Millionen Euro investieren. Bis 2023 soll die Raffinerie entstehen – entweder in Sachsen-Anhalt oder in Brandenburg.
Einer der Geldgeber für das Projekt: Facebook-Investor und Paypal-Gründer Peter Thiel mit seiner Beteiligungsgesellschaft Valar Ventures. Thiel sicherte sich fast fünf Prozent der Anteile am börsennotierten Unternehmen Rock Tech, während der britische Hedgefonds-Manager Alan Howard auch einen Minderheitsanteil erwarb. Mit dabei im Kreise der illustren Investoren: Der deutsche Milliardär Christian Angermayer mit fast 20 Prozent. Im Dezember 2021 steht die nächste Kapitalerhöhung bevor, um die Raffinerie vollständig zu finanzieren. Mehr zu Rock Tech lesen Sie hier.
Li-Hydroxid: Weißer Feststoff mit Kristallstruktur
Li-Hydroxid ist ein weißer, durchscheinender Feststoff mit einer Kristallstruktur, der für die Herstellung heutiger Elektroauto-Batterien notwendig ist. Mit den Standorten in Ostdeutschland ergeben sich nicht nur für strukturschwache Regionen neue Chancen – der Autoindustrie wird es erleichtert, stärker zu regionalisieren, und Lieferketten zu verkürzen. Im Juni soll die endgültige Standortentscheidung fallen. Ab April 2022 könnten die Bauarbeiten an der ersten, europäischen Lithiumhydroxid-Raffinerie beginnen, im Sommer 2023 die Produktion starten.
Der Standort Ostdeutschland ist für eine solche Li-Hydroxid-Raffinerie besonders geeignet: Potenzielle Abnehmer sind das Kathodenwerk von Bosch in Brandenburg, der amerikanische Hersteller Farasis in Sachsen-Anhalt oder sogar Tesla in Grünheide. Selbst die Werke von Volkswagen in Braunschweig oder CATL bei Erfurt sind aus den beiden Bundesländern schnell erreichbar.
Bessere Förderprogramme in Ostdeutschland
Für Rock Tech ergeben sich aber auch finanzielle Vorteile: Laut Harbecke könnte sein Vorhaben in Westdeutschland mit 10 Millionen Euro von Seiten der öffentlichen Hand unterstützt werden – Förderprogramme im Osten hingegen böten die Chance auf 45 Millionen Euro Subvention. Zusätzlich zur Li-Hydroxid-Chemieanlage soll auch ein Forschungszentrum entstehen.
Das Lithium, das Rock Tech einsetzen will, kommt auf der Mine in North Ontario, Kanada – und nicht aus den Salzkrusten von Chile oder Argentinien. Perspektivisch könnte auch europäischer Rohmaterial zum Einsatz kommen, was die Umweltschäden deutlich reduzieren würde.
Kauft Tesla bald Li-Hydroxid in Deutschland?
Aktuell führt Rock Tech viele Gespräche mit potenziellen Abnehmern seiner Produkte, führt die Due Dilligence für die Standortwahl durch. Gleichzeitig betreibt das Cleantech-Unternehmen zwei Pilotanlagen in Deutschland und Australien, um unterschiedliche Verfahren für die Li-Hydroxid-Gewinnung auszutesten. Das innovativere Verfahren soll in Deutschland zum Einsatz kommen, ist bereits zum Patent angemeldet.
„Wir möchten mit unserer Produktionsstätte dafür sorgen, dass wir in Deutschland genug Lithiumhydroxid haben. Damit Tesla nicht dazu gezwungen ist, es selber herzustellen, sondern die Materialien letztendlich bei uns einkauft.“
Dirk Harbecke gegenüber Business Insider
Am Battery Day verkündete Tesla die Gedanken, selbst Lithiumhydroxid herstellen zu wollen. Geht es nach Harbecke, würde Rock Tech dem Autobauer diese Aufgabe gerne mit modernsten und nachhaltigen Methoden abnehmen.
Auch AMG plant Raffinerie
Daneben plant auch die Tochter AMG Lithium GmbH der niederländischen Advanced Metallurgical Group die Errichtung einer Li-Hydroxid-Raffinerie in Ostdeutschland – als Standort hat sich das Unternehmen für Zeitz im Burgenland entschieden. Die Investitionen sind aber im ersten Schritt deutlich kleiner als bei Rock Tech – bis zu 60 Millionen Dollar sollen aufgewendet werden.
Das Konzentrat kommt dabei aus Brasilien, wo AMG Mineracao eine Mine betreibt. Pro Jahr könnten in Sachsen-Anhalt 17.500 Tonnen Li-Hydroxid-Monohydrat produziert werden. Es wäre ein guter Anfang, um noch mehr Bestandteile der Batterie-Wertschöpfungskette nach Europa zu holen – fehlt nur noch die Förderung am Oberrhein…
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.