Modern Synthesis nutzt Bakterien, um Stoff herzustellen
Neuartiges Biomaterial entsteht im Reaktor auf Basis von Nanozellulose.
Das Londoner Cleantech-Unternehmen Modern Synthesis entwickelt eine neue Textilkategorie, die ressourcenschonend und emissionsarm produziert werden kann. Zur Produktion vom modernen Biomaterial mit vorteilhaften Produkteigenschaften dient das Verfahren der bakteriellen Fermentation. Konkret werden Bakterien mit Abfallstoffen wie Obstabfällen oder Landwirtschaftsresten gefüttert, um in Windeseile Nanozellulose herzustellen.
Der Prozess, den Modern Synthesis marktreif macht, ist bislang einzigartig, und zeigt das Potenzial von Biotech oder Cleantech für die Bekämpfung der Klimakrise. Die Nanozellulose-Fasern, die die Mikroorganismen im Bioreaktor „bauen“, sind extrem klein und achtmal stärker als Stahl und steifer als Kevlar. Kevlar ist ein starkes, synthetisches Material, das häufig bei der Herstellung von schusssicheren Westen, Reifen oder Seilen verwendet wird. Kennzeichnend ist die hohe Beständigkeit gegen Abrieb und Stöße.
Das Verfahren beginnt mit dem Einsatz eines Roboters, der andere Naturfasern zu einem Gerüst zusammensetzt, auf dem die Mikroben wachsen können. Während sich die Mikroben von Zucker ernähren, „weben“ sie das neue Textil um die Form des Gerüsts herum und bilden ein Hybrid, das sowohl das ursprüngliche Gerüstmaterial als auch die von den Mikroben hergestellte Nanozellulose enthält.
Hintergrund: Was ist Nanozellulose?
Nanozellulose ist ein Material, das aus winzigen Fasern besteht, die aus Cellulose gewonnen werden. Die Fasern sind so klein, dass sie nur unter einem Mikroskop gesehen werden können. Nanozellulose hat viele Anwendungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel als Verstärkungsmaterial in Kunststoffen oder als umweltfreundlicher Ersatz für synthetische Materialien wie Leder oder Nylon. Es ist auch biologisch abbaubar und kann aus nachhaltigen Rohstoffen hergestellt werden.
Das Biomaterial wird auf einer Art Fadengerüst gezüchtet und ähnelt optisch Nylon, fühlt sich aber trocken und warm an wie Zellulose oder Papier. Die Nanozellulose ist eine Kombination aus traditionellem Textil und einer Art Biofilm, also ein hybrides, nicht gewebtes Verbundmaterial. Eine Art neuer Stoff sozusagen.
Umweltfreundlichkeit von Nanozellulose
Während heutige Textilfasern auf gigantischen Baumwollfeldern mit sehr viel Wasser in vielen aufwändigen Schritten hergestellt werden, ist die Herstellung der Nanozellulose durch die Bakterien deutlich einfacher, ressourcenschonender und umweltfreundlicher.
Jen Keane, die Co-Gründerin von Modern Synthesis, arbeitete zuvor mehrere Jahre für Adidas und half dem Unternehmen, Turnschuhe aus Plastikabfällen aus dem Meer herzustellen. Danach gründete sie das Cleantech-Unternehmen gemeinsam mit Ben Reeve, einem Spezialisten für synthetische Biologie. Zuvor hatte dieser einen maßgeschneiderten Prototyp-Trainer aus dieser Art von Biomaterial entwickelt.
Neben der Umweltfreundlichkeit des Verfahrens geht es nun zentral um die Skalierung: „Bakterienzellulose ist bereits für andere Industrien skaliert, daher gibt es auf der biologischen Seite einen reichen Wissensschatz, aus dem wir schöpfen können“, berichtet Keane. „Es wird in Biozellulose-Gesichtsmasken verwendet, es gibt Kombucha und Nata de Coco, was eine Wüste in Asien ist – es ist derselbe Organismus, nur ein etwas anderer Prozess.“
Im Süden Londons hat Modern Synthesis kürzlich ein neues Labor eröffnet, um die Biomaterialien weiterzuentwickeln und womöglich sogar als Industriestandard zu etablieren. Keane: „Wir versuchen nicht, einfach ein weiteres Leder herzustellen – es ist wirklich eine aufregende neue Textilkategorie und eine riesige Chance für die Modeindustrie und andere Industrien, Materialien neu zu denken.“
Neue Bioökonomie entsteht
Die Innovation von Modern Synthesis ist nur ein Zeichen für eine neue Bioökonomie die, basierend auf synthetischer Biologie, entscheidend bei der Bekämpfung der Klimakrise helfen kann. „Biologie ist die ultimative Kreislaufwirtschaft“, sagt Co-Gründerin Keane. Denn die Biomaterialien können entweder recycelt oder kompostiertwerden.
Auch andere Cleantech-Unternehmen nutzen Mikroorganismen, um Materialkreisläufe zu etablieren. Carbios etwa züchtet PET-fressende Enzyme. Electrochaea entwickelt auf dieser Basis Power-to-Gas-Anlagen für die Energiespeicherung.
Keanes erster Prototyp als Studentin war der von Mikroben geformte Schuh. Ziel von Modern Synthesis ist es aber, ein Biomaterial herzustellen, dass Bekleidungsmarken zuschneiden und nähen können. Das soll die Skalierbarkeit der Lösung sicherstellen.
Wenn das Biomaterial aus Nanozellulose konventionelle Stoffe ersetzt, kann es dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck der Verwendung von Petrochemikalien zu vermeiden. Schätzungen zufolge werden für die Herstellung synthetischer Textilien jährlich rund 350 Millionen Barrel Rohöl verbraucht.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.