Deutschland modernisieren: SPD, Grüne und FDP konkretisieren den eigenen Koalitionsvertrag von 2021.
Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses der Ampelkoalition sind auf den ersten Blick ein Rückschritt in Sachen Klimaschutz. Denn im Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung werden die Sektorziele des Klimaschutzgesetzes aufgeweicht, Gasheizungen unter Umständen erlaubt und 144 Autobahn-Projekte beschleunigt. Doch auf den zweiten Blick verbergen sich im Beschluss von SPD, Grüne und FDP einige Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen.
Die wichtigste Maßnahme: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Bestätigung für sein Gesetz zur Wärmewende erhalten: Neu eingebaute Heizungen werden ab 1. Januar 2024 nahezu immer zu mindestens 65 Prozent auf erneuerbaren Energien basieren. Reine Öl- und Gasheizungen, wie sie bis Ende 2022 noch gefördert wurden, sind damit bei Neubau und beim Austausch defekter Geräte Geschichte. Damit gewinnt die Wärmewende endlich an Dynamik in Deutschland.
Lesen Sie hier mehr über die Vorteile der Wärmepumpe, und dazu, was das Gasheizung-Verbot für Eigentümer bedeutet.
Damit bestätigt das Modernisierungspaket den Gesetzesentwurf, der unter mysteriösen Umständen frühzeitig in der BILD-Zeitung landete und bis heute von der Springer-Presse und anderen Medien bewusst missinterpretiert wird. Es gibt keinen Zwang, ab 2024 sofort bestehende und funktionierende Heizungen austauschen. Auch FDP-Chef erweckte zuletzt den Eindruck, in den Gesprächen zum Modernisierungspaket sei eine solche Pflicht vom Tisch gewischt worden. Dabei gab es diese nie.
Tatsächlich hat sich nur insofern etwas an der Tonlage geändert, dass klarer kommuniziert wird, dass auch mit sauberem Wasserstoff betriebene Heizungen akzeptabel sind. Doch einerseits gibt es bislang jenseits des sündhaft teuren Angebotes PICEA keine Heizungen etwa von Viessmann, die zu 70 oder gar 100 Prozent Wasserstoff nutzen können, andererseits ist Wasserstoff nicht breit verfügbar und schon gar nicht günstig.
Kurz zurück zu PICEA von Home Power Solutions, weil das Konzept, im Sommer mit PV-Überschüssen Wasserstoff für den Winter zu erzeugen, auch gestern Abend wieder in der Sendung „Markus Lanz“ von einer Expertin beschrieben wurde: Das Konzept funktioniert nur mit sehr großem Dach und einem großen Heizungskeller sowie bei Eigentümern, die bereit sind, mehr als 100.000 Euro zu investieren. Das Konzept ist schlicht überdimensioniert und somit volkswirtschaftlich ineffizient.
Hochlauf der Elektromobilität
Ähnlich irreführend wie die Debatte um Wasserstoff oder gar E-Fuels im Heizungskeller ist die rund um E-Fuels für PKW. Auch hier verkauft die FDP die minimale Veränderung des EU-Vorhabens als gewaltigen Erfolg. Jenseits von Nischen werden Elektroautos aber nicht aufzuhalten sein. Denn Elektroautos bieten die Chance, den Fahrzeugbestand zu reduzieren, was dringend notwendig ist.
Und genau hierzu gibt es Beschlüsse im Modernisierungspaket, die kaum berichtet worden sind: So sollen Verteilnetzbetreiber endlich gesetzlich verpflichtet werden, ihre Verteilnetze für 15 Millionen Elektroautos in 2030 zu ertüchtigen. Bislang bewegt sich hier viel zu wenig, was das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur längst auf den Plan gerufen hat: Werden die Netze nicht ertüchtigt, sind deutlich mehr Möglichkeiten notwendig, um bei etwaigen Engpässen etwa Wallboxen zu drosseln.
Daneben ist im Ergebnispapier zum Koalitionsausschuss vom Hochlauf autonomer Fahrzeuge die Rede. Wann automatisiertes Fahren in großem Stil kommen wird, ist nicht klar. Weit entfernt scheint zumindest autonomes Fahren in Nischen wie dem Lebensmittel-Transport nicht mehr zu sein. Fahrzeuge der Stufen 2 bis 4 können insbesondere den mangelhaften ÖPNV im ländlichen Raum entscheidend ergänzen und somit die Zahl der Fahrzeuge reduzieren.
Modernisierungspaket: Flotten werden elektrisch
Die Elektrifizierung der Mobilität geht überdies sowohl beim Car-Sharing als auch bei kommunalen und gewerblichen Flotten voran. Mit dem „Sonderprogramm Flottenelektrifizierung“ wird die Umstellung kommunaler und gewerblicher Flotten und Mobilitätsdienstleister auf CO2-neutrale Antriebe gezielt vorangetrieben.
Auch Carsharing-Flotten sollen schneller auf CO2-neutrale Fahrzeuge umgestellt werden. Ab 2026 wird CO2-Neutralität zu einem Eignungskriterium für die Zulassung von Carsharing-Flotten gemacht. Auch öffentliche Fuhrparks und Stadtbusse sollen weiter elektrifiziert werden. Die bestehende Förderung klimaneutraler Busse einschließlich Infrastrukturen wird bis 2028 verlängert.
Die Bundesregierung wird das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) so novellieren, dass Anforderungen für Ladesäulen-Infrastruktur für Wohn- und Gewerbegebäude deutlich ambitionierter
ausgestaltet werden. Außerdem wird gesetzlich geregelt, dass binnen fünf Jahren eine
verbindliche Bereitstellung von öffentlich-zugänglichen Ladepunkten bei Stellplätzen
mit öffentlichem Zugang erfolgt (Parkplatzauflage für Einzelhandel, Flughäfen, Bahnhöfe etc.).
Und schließlich soll jede Tankstelle zum Aufbau von mindestens einer Schnellladesäule verpflichtet werden. Das ist bemerkenswert, weil die Zahl der Tankstellen bis Ende der 2030er Jahre abnehmen dürfte – Investitionen ergeben so nur noch teilweise Sinn für die Betreiber. Das könnte – dem entgegenstehend – zumindest kleine Pächter zum schnelleren Aufgeben ihres Geschäftes veranlassen.
LKW-Maut und Investitionen in die Schiene
Und schließlich hat die Koalition mit der geplanten Erhöhung der LKW-Maut sogar ein Konzept mit Lenkungswirkung auf den Weg gebracht. 80 Prozent der Einnahmen aus der erhöhten und erweiterten LKW-Maut, also zirka fünf Milliarden Euro, werden in die Bahn investiert. Damit sollen bis 2027 rund 20 Milliarden der vorgesehenen 45 Milliarden Euro gegenfinanziert werden.
Das zeigt: Die Regierung setzt im Modernisierungspaket auf Elektroautos, Wärmepumpen und die Bahn. Das Originaldokument Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung steht hier zum Download zur Verfügung.
Einschätzung von Martin Jendrischik, Cleanthinking.de:
Von den Klima- und Umwelt-Institutionen kommt anlässlich der Ergebnisse des Koalitionsausschusses Kritik, aus der Wirtschaft kommt Lob für das Modernisierungspaket. Das zeigt, dass sich zwei der drei Ampel-Parteien eher auf wirtschaftsfreundlichem Kurs befinden und derzeit nicht mehr Klimaschutz möchten. Das ist grundsätzlich verheerend, weil insbesondere im Verkehr die Maßnahmen immer noch unzureichend sind.
Allerdings bewegt sich in Verkehr und Gebäude endlich etwas ganz konkret: Jenseits der „Technologieoffenheits“-Optionen, die aus heutiger Sicht unrealistisch erscheinen (E-Fuels im PKW, Heizen mit Wasserstoff) werden die Elektrifizierungs-Pläne mit Elektroautos und Wärmepumpen sowie Erneuerbaren Energien als Basis vorangetrieben.
Das Modernisierungspaket ist daher weit weniger schlecht als es in der öffentlichen Debatte dargestellt wird. Ein Mehr an Klimaschutz wird nur durch Druck von der Straße – Fridays for Future hat für Morgen zu Demonstrationen aufgerufen – oder durch Gerichtsurteile möglich. Denn dann müssen sich die langsamen und bremsenden Ampel-Partner SPD und FDP bewegen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.