Norwegen ist eines der Schlüsselländer innerhalb Europas, wenn es um die saubere Energieversorgung der Zukunft und die Dekarbonisierung des Kontinents geht. Das nordeuropäische Land, das immer noch von den eigenen Öl- und Gasvorkommen profitiert, sich selbst aber längst weitgehend mit erneuerbaren Energien versorgt, baut seine Position als Exporteur von Cleantech und in vielen anderen Bereichen konsequent aus. Viele Projekte und politische Entscheidungen belegen das.
Norwegen verfügt über große Mengen natürlicher Ressourcen und einen besonders einfachen Zugang zu sauberen Energien etwa aus Wasserkraft. Diesen beinahe einzigartigen Wettbewerbsvorteil, gepaart mit soliden Staatsfinanzen, einem hervorragend ausgebauten Finanzsektor und der umfangreichen technologischen Erfahrung aus der Öl- und Schiffahrtsindustrie, nutzt das Land konsequent.
„In Norwegen werden mehr als 98 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugt. In erster Linie Energie aus Wasserkraft, aber auch Windkraft wird immer bedeutsamer“, sagt Ingvil Smines Tybring-Gjedde, die stellvertretende Energieministerin des Landes, im Interview mit Cleanthinking.de. „Unser Land verfügt über 1550 große und kleine Wasserkraftwerke und ca. 1000 Speicherbecken. Schließt man den Transportsektor mit ein, haben wir einen Anteil Erneuerbare Energien von 70 Prozent.“
Schon seit den 60er Jahren rückt Norwegen zunehmend an Mitteleuropa heran und verbindet auch die Infrastruktur. In gewöhnlichen Jahren ist Norwegen Netto-Exporteur erneuerbarer Energien. Derzeit werden zwei neue Kabel verlegt, um den Energieaustausch mit Großbritannien und Deutschland um ungefähr 50 Prozent auszubauen. Aus dem Öl- und Gasgeschäft ist das Land allerdings bislang nicht ausgestiegen – weshalb das Image vom umweltorientierten Land noch nicht 100-prozentig funktioniert.
Das norwegische Energiesystem basiert hauptsächlich auf Speicherkraftwerken. Wasser-Reservoirs ermöglichen es Norwegen, die Stromerzeugung zu stoppen, wenn Importe günstig sind. „Das ist etwa der Fall, wenn in unseren umliegenden Ländern reichlich Wind erzeugt wird“, erklärt die Energieministerin. „Andererseits gilt: Wenn die umliegenden Länder Strom benötigen und ihre Preise hoch sind, können wir das Wasser nutzen und exportieren. Dies bringt sowohl Norwegen als auch unseren Nachbarländern Vorteile.“
Technische Tradition und Elektroautos in Norwegen
Norwegen ist ein Land mit viel technischer Tradition. Die Einwohner verfügen über hohe technologische Kompetenz und sind aufgeschlossen gegenüber technischen Innovationen. Auch das ist ein Grund, weshalb der Anteil an Elektroautos und insbesondere an Teslas in Norwegen so schnell so rasant steigen konnte. Bis 2025 soll es in Norwegen keine Autos mit Verbrennungsmotor geben – schon heute gibt es mehr als 280.000 Elektro- und Plugin-Hybridfahrzeuge – das entspricht mehr als zehn Prozent der 2,7 Millionen Fahrzeuge in Norwegen. Grund ist, neben der Innovationsfreude aber auch, dass das Land bereits 2012 ein umfassendes Förderprogramm auflegte.
Der hohe Anteil erneuerbarer Energien sowie die günstige Verfügbarkeit rund um die Uhr, führt zu weiteren Vorteilen Norwegens in Sachen Mobilität. Es ist ein attraktiver Standort, um klimaneutrale Kraft- und Brennstoffe herzustellen – etwa nach dem Verfahren, das das Dresdner Cleantech-Unternehmen Sunfire entwickelt hat. Herzstück ist die sogenannte Dampf-Elektrolyse, die besonders hohe Wirkungsgrade verspricht. Das norwegische Unternehmen Nordic Blue plant den Aufbau der ersten kommerziellen Power-to-Liquids Anlage in den kommenden Jahren.
e-Fuels als wichtiger Baustein der Verkehrswende
Die sogenannten e-Fuels sind energieintensiv in der Herstellung – umso wertvoller die Rahmenbedingungen, die Sunfire und Partner Nordic Blue in Norwegen vorfinden. Synthetisch hergestellte Kraftstoffe könnten eine entscheidende Bedeutung für die Verkehrswende in Europa einnahmen – das zeigen zahlreiche aktuelle Studien wie die des Weltenergierates, die sich damit beschäftigt haben, ob sich Deutschland nach Abkehr von fossilen Energieträgern mit erneuerbaren Energien selbst versorgen könnte. Ergebnis: Nein, Deutschland braucht Import von e-Fuels, um den eigenen Bedarf decken zu können.
Ebenfalls im Bereich e-Fuels angesiedelt ist das Cleantech-Unternehmen Nel Hydrogen, das inzwischen global als führender Anbieter von Elektrolyseuren gilt. Diese werden sowohl im Power-to-Liquids-Verfahren benötigt, als auch dazu, Brennstoffzellenfahrzeuge zu betanken. Genau damit will Nel Hydrogen den Durchbruch schaffen: Das Unternehmen ist eng verbandelt mit Nikola Motors, dem US-Startup, das Wasserstoff-LKW auf den Markt bringen und dafür großflächig Infrastruktur aufbauen möchte (Cleanthinking berichtete).
Derzeit hat Nel Hydrogen eine Produktionskapazität von 40 Megawatt – und plant eine Fabrik namens Notodden, die 360 Megawatt erreichen soll. Insgesamt haben die beiden Unternehmen vereinbart, dass Nel 1 Gigawatt liefern soll. Passenderweise will Nikola Motors seinen für Europa vorgesehenen Wasserstoff-Truck in Norwegen testen.
Die Erweiterung ist vollständig auf die Nikola-Roadmap abgestimmt und wir werden das Projekt in der zweiten Hälfte oder 2018 offiziell anstoßen. Die Anlage wird Anfang 2020 betriebsbereit sein, und der Hochlauf wird auf die Kundenanforderungen abgestimmt sein, sagt Unternehmenschef Jon André Løkke. Wir wollen die Welt verändern und erneuerbaren Wasserstoff zum Mainstream machen, kein Nischenprodukt, wie es heute ist.
Norwegens CCS-Projekte sind attraktiv für Europa
All diese Beispiele zeigen, dass Norwegen zu einem attraktiven Player im sich wandelnden Energie- und Mobilitätssektor Europas geworden ist. Ein weiteres interessantes Vorhaben sind mehrere Carbon Capture and Storage-Projekte, die in Norwegen in großskaligem Umfang möglich sind. Der jüngste IPCC-Specialreport zum 1.5-Grad-Ziel der Weltgemeinschaft hat gezeigt, dass es notwendig wird, CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen und es dauerhaft zu speichern – und zwar in erheblichem Umfang.
So wird das Unternehmen Norcem, eine Tochtergesellschaft von HeidelbergCement, vom norwegische Energieministerium mit staatlichen Mitteln dabei unterstützt, die CO2-Abscheidung in einem Zementwerk in Brevik zu testen. Norcem hat sich vorgenommen, das weltweit erste Zementwerk zu werden, das klimaneutral produziert. „Norwegen hat jetzt die Möglichkeit, eine flexible Wertschöpfungskette für die Erfassung, den Transport und die Speicherung von CO2 zu entwickeln“, sagt Per Brevik, Leiter Nachhaltigkeit und Projektmanager bei HeidelbergCement.
Aber die Ideen gehen noch weiter: So sollen alte Erdgasfelder dazu genutzt werden, CO2-Emissionen anderer Staaten aufzunehmen. Der Erdölkonzern Equinor, früher bekannt als Statoil, will das bei der Verbrennung seines Erdgases frei werdende Kohlendioxid wieder zurück in die Erde pumpen – und dafür die vorhandene Infrastruktur nutzen. So ergäbe sich für den Konzern ein neues Geschäftsfeld, um den kontinuierlich sinkenden Fördermengen entgegen zu wirken und das Image Norwegens als Umwelt-Vorbild nachhaltig zu schärfen.
(Hinweis: Martin Jendrischik, Autor dieses Artikels, war als Kommunikationsberater auch für das im Beitrag genannte Unternehmen Sunfire tätig.)
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.