Energieexperten zeigen, wie wir die Erderwärmung begrenzen, und die ökologische Transformation erreichen können.
Die ökologische Transformation im Energiesektor ist der Schlüssel, um die schlimmsten Folgen der Erderwärmung bis 2100 abzuwenden. Handeln wir in dieser Dekade bis 2030 nicht konsequent, gerät das Klimasystem der Erde aus den Fugen – der Eintritt in eine ungemütliche Heißzeit wäre die Folge. Um das zu verhindern, ist nichts weniger als ein vollständiger Paradigmenwechsel notwendig im Vergleich dazu, wie wir heute produzieren, transportieren und Energie verbrauchen.
Bislang wird weltweit kaum verstanden, welche gewaltige globale und gemeinschaftliche Anstrengung nötig ist, um das das Net Zero-Ziel bis 2050 mit dem Einsatz von sauberen Technologien (Cleantech) zu erreichen. Was müssen politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger, Finanziers und Organisationen ganz konkret tun, um die ökologische Transformation zu erreichen? Der nachfolgende Cleanthinking-Beitrag zeigt, wie Erneuerbare Energien, Batteriespeicher, Elektroautos und Wasserstoff eingesetzt werden müssen.
Seit 2019: Die Welt im planetaren Notstand
Johan Rockström, einer der beiden wissenschaftlichen Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung und einer der meistzitierten Forscher weltweit, gehört zu einer Gruppe von Erdsystem- und Klimaexperten, die im November 2019 den Alarmknopf der Erde „gedrückt“, und den planetaren Notstand ausgerufen haben. Als Antwort darauf, empfehlen sie die ökologische Transformation.
Im Wissenschaftsmagazin Nature machten Rockström und die Wissenschaftler Timothy M. Lenton, Owen Gaffney, Stefan Rahmstorf, Katherine Richardson Christensen, William Steffen und Hans Joachim Schellnhuber unmissverständlich deutlich: Unverändertes, menschliches Handeln führt unweigerlich dazu, das System Erde irreversibel aus dem Gleichgewicht zu bringen.
2008 hatte Hans Joachim Schellnhuber gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern sogenannte Kippschalter im globalen Klimasystem identifiziert. Beim Überschreiten spezifischer Schwellenwerte springen diese um. Eine Dekade später fanden die Wissenschaftler heraus: Neun der 15 oder 16 wichtigsten Koppschalter zeigen eindeutige Anzeichen, sich zu bewegen. Neuere Erkenntnisse aus dem Jahr 2022 zu den Kippelementen gibt es auch hier.
Unter diesen neun Kippschaltern sind drei besonders besorgniserregend, weil sie die entscheidende Schwelle überschritten haben:
- Der Westantarktische Eisschild
- das arktische Meereis und
- die tropischen Korallenriffe.
Im Ergebnis stellten die Forscher eine Koinzidenz zweier Faktoren fest: Einerseits kommen die kritischen Schwellenwerte immer näher. Das Budget an gerade noch verträglichen CO2-Emissionen ist weitgehend ausgeschöpft, viele biologische Arten gehen verloren. Die Grundlagen des globalen Gleichgewichts werden untergraben.
Als zweiter Faktor kommt hinzu: Die Zeit, das noch zu verändern, läuft nach Angabe der Wissenschaftler davon. Die Dekade bis 2030 sei das entscheidende Jahrzehnt, die letzte Gelegenheit, das Ruder herumzureißen. Resultat: Wir müssen jedes Jahrzehnt den Ausstoß an Treibhausgasen halbieren, um noch auf den richtigen Pfad ökologische Transformation gelangen zu können.
Und: Es reicht nicht einmal mehr aus, nur den Energiesektor zu dekarbonisieren, also zu umzubauen, dass er ohne fossile Roh- und Brennstoffe, insbesondere Kohle, Öl und Gas auskommt. Gleichzeitig müssen Parameter wie die Überdüngung der Meere, die Luftverschmutzung, der Schutz der biologischen Vielfalt beobachtet werden. Ansonsten drohen zusätzliche Wechselwirkungen.
„Das Schicksal des Planeten Erde wird auch auf dem Schlachtfeld der Böden, der Wälder, der Meere, der Luftverschmutzung und des Stickstoffhaushalts entschieden. Wir sind inzwischen auf einem guten Weg, die Ära von Öl, Erdgas und Kohle hinter uns zu lassen. Jetzt besteht eine große Herausforderung darin, auch die anderen planetaren Grenzen in den Griff zu kriegen“, so Rockström Mitte Mai 2021 im Spiegel-Interview.
Der Nature-Artikel „Climate tipping points — too risky to bet against“ kann hier nachgelesen werden.
Pariser Übereinkommen und aktuelle Klimaversprechen
Mit dem Pariser Übereinkommen vom 12. Dezember 2015 haben sich 195 Staaten und die Europäische Union auf der UN-Klimakonferenz Paris zur Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung bekannt. Konkret haben sie sich verpflichtet, die Erderwärmung im Vergleich zu vorindustriellem Niveau auf „deutlich unter 2 Grad Celsius“ zu begrenzen. Im Idealfall soll die Begrenzung bei 1,5 Grad Celsius enden.
Im April 2021 ist die Welt nicht mehr weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt: Nach Berechnungen des Climate Action Tracker liegt die Temperatur heute bereits 1,2 Grad höher als zur vorindustriellen Zeit. Unternimmt die Welt weiterhin zu wenig im Sinne des Pariser Übereinkommens, muss die Menschheit mit 2,4 Grad Erwärmung klarkommen – in diesem Szenario sind die kürzlich auf Initiative der USA erhöhten Klimaversprechen des Landes selbst, von Japan oder auch der Europäischen Union bereits enthalten.
Das Pariser Übereinkommen trat schließlich am 4. November 2016 in Kraft. 30 Tage nach dem 55 Staaten, die zusammen mindestens 55 Prozent der Emissionen verursachen, die Ratifizierung beendet hatten.
Bedeutet: Selbst, wenn alle Länder ihre bis heute versprochenen Klimaziele einhalten, reicht es nicht, um das Pariser Übereinkommen einzuhalten. Besonders bedeutsam werden jetzt die Ziele und Versprechen beispielsweise von China – das Land hat sich zur Klimaneutralität bis 2060 bekannt, baut aber weiter Kohlekraftwerke zu. Einer aktuellen Untersuchung zufolge müsste China in dieser Dekade 600 Kohlekraftwerke abschalten, um zumindest dieses Ziel zu erreichen.
Net Zero Targets: 73 Prozent der CO2-Emissionen
Aktuell sind laut Climate Action Tracker 73 Prozent der Treibhausgas-Emissionen über Netto-Null-Emissionsziele abgedeckt. Ziel der Weltgemeinschaft muss es sein, bis zur Weltklimakonferenz COP26 im November in Glasgow rechnerisch auf 100 Prozent zu kommen. Auch Deutschland könnte hier beispielsweise durch ein klares Verbot von Verkäufen von Autos mit Verbrennungsmotor oder ein Vorziehen des Kohleausstiegs zusätzlich beitragen.
Letztlich bleiben laut Klimaforschern noch 300 bis 400 Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß weltweit – das entspricht sieben bis acht Jahre mit gleich hohen Emissionen. Bis 2030 muss eine Halbierungen der Emissionen folgen. Pro Jahr eine Reduktion um sieben Prozent.
Ökologische Transformation mit Cleantech – was ist zu tun bis 2050?
Wie die Ökologische Transformation mit Cleantech gelingen kann, hat die Internationale Energie Agentur IEA im Mai 2021 in einer Roadmap detailliert dargelegt. Pikant: Ausgerechnet die Organisation, die jahrzehntelang mit der fossilen Energiebranche verknüpft war, fordert nun die sofortige Abkehr von der Kohleverstromung.
Diese Grafik der IEA zeigt die Maßnahmen zur Ökologischen Transformation mit Cleantech:
„Unsere Roadmap für die ökologische Transformation mit Cleantech zeigt die vorrangigen Maßnahmen auf, die heute erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Chance auf Netto-Null-Emissionen bis 2050 – die zwar gering, aber immer noch erreichbar ist – nicht verloren geht. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Anstrengungen, die dieses kritische und gewaltige Ziel erfordert – unsere beste Chance, den Klimawandel zu bekämpfen und die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Fatih Birol, der Exekutivdirektor der IEA
Auf dem Weg zu Null-Emissionen setzt die Roadmap der IEA 400 Meilensteine für die ökologische Transformation. Zentral sind:
- Keine Investitionen in neue Projekte zur Versorgung mit fossilen Brennstoffen
- Keine weiteren, endgültigen Investitionsentscheidungen für Kohlekraftwerke
- Bis 2035: Kein Verkauf mehr von PKW mit Verbrennungsmotoren
Der globale Stromsektor soll 2040 Netto-Null-Emissionen erreichen. Der komplette Energiesektor dann bis 2050.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz
Auf kurze Sicht beschreibt der Bericht einen Netto-Null-Pfad, der den sofortigen und massiven Einsatz aller verfügbaren sauberen und effizienten Energietechnologien erfordert, kombiniert mit einem großen globalen Vorstoß zur Beschleunigung der Innovation.
- Jährlicher Photovoltaik-Zubau von 630 Gigawatt bis 2030
- Jährlicher Windkraft-Zubau von 390 Gigawatt bis 2030
- Energieeffizienz: Globale Rate der Verbesserungen bis 2030 bei vier Prozent pro Jahr
Um das in eine Größenordnung zu bringen: Das entspricht bei der Photovoltaik der Installation des größten Solarparks der Welt – jeden Tag. Der größte Teil der globalen CO2-Reduzierung bis 2030 auf dem Netto-Null-Pfad stammt aus heute verfügbaren Technologien. Die Erneuerbaren Energien bilden die Basis für den Umbau des globalen Energiesektors.
Kohleausstieg
Die IEA fordert, dass die ab 2040 noch verbleibenden Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung nachgerüstet werden müssen.
Elektroautos
Bis 2030 soll der Anteil der Elektrofahrzeuge an den weltweit verkauften Autos bei 60 Prozent liegen. Das Ende des Verbrenners ist für das Jahr 2035 vorgesehen. Ab 2035 sollen 50 Prozent der verkauften Nutzfahrzeuge ebenfalls elektrisch betrieben werden.
Gebäudeenergieeffizienz
Für die Gebäudeenergieeffizienz bzw. das Heizen von Gebäuden gibt es ebenfalls eine bedeutende Zielmarkt: Die IEA will, dass bis 2030 alle neugebauten Häuser energieeffizient sind. Das bedeutet vor allem: Gute Isolierung, klimaneutrale Heizung oder Kühlung. Beleuchtung ohne CO2-Ausstoß.
Ab 2040 sollen dann 50 Prozent aller Gebäude klimaeffizient sein – sowohl Alt- als auch Neubauten. Gerade in Deutschland weiß man, wie schwer die Sanierung ist – so läuft die Gebäudesanierung seit vielen Jahren schleppend.
Negativ-Emissionen
Pro Jahr sollen ab 2035 dann vier Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr „gebunden“ werden. Dabei könnte sowohl die Verpressung in der Nordsee gemeint sein, wie auch die Versteinerung von CO2 etwa im Oman. Außerdem könnte auch die gezielte Nutzung in langfristig verwendbaren Produkten eine Rolle spielen.
Emissionsfreies Kerosin
Ob die Luftfahrt elektrifiziert werden kann, steht heute noch in den Sternen. Erste Ambitionen auf der Kurzstrecke etwa in Norwegen gibt es. Dazu werden hybrid-elektrische Antriebe entwickelt. Aus Sicht der IEA sollen 50 Prozent der Treibstoffe in der Luftfahrt mindestens emissionsarm sein im Jahr 2040. Zuletzt hatte sich die deutsche Regierung auf eine Beimischung von E-Fuels auf Basis von Power-to-Liquids mit der Luftfahrtbranche verständigt.
Innovations-Forschung
Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, somit Technologien, die heute bereits verfügbar sind, werden bis 2050 etwa 50 Prozent der Reduktionen im Sinne der ökologischen Transformation mit Cleantech-Lösungen erzielt, die sich zur Zeit erst in der Demonstrations- und Prototypenphase befinden. Dementsprechend müssen die Regierungen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung schnell erhöhen, priorisieren und diese in den Mittelpunkt der Energie- und Klimapolitik stellen.
Fortschritte in den Bereichen fortschrittliche Batterien, Elektrolyseure für Wasserstoff und direkte Luftabscheidung und -speicherung (Direct Air Capture, Carbon Capture and Storage, Carbon Capture and Usage) können laut IEA besonders wirkungsvoll sein.
Zugang zur Elektrizität verbessern
Wichtig ist auch, die Menschen bei der ökologischen Transformation mitzunehmen. Die Versorgung von rund 785 Millionen Menschen, die keinen Zugang zu Elektrizität haben, und von 2,6 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu sauberen Kochmöglichkeiten haben, ist ein integraler Bestandteil des Netto-Null-Pfads der Roadmap.
Die Kosten hierfür belaufen sich auf etwa 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr, was etwa 1 Prozent der durchschnittlichen jährlichen Investitionen im Energiesektor entspricht. Es bringt auch große gesundheitliche Vorteile durch die Verringerung der Luftverschmutzung in Innenräumen, wodurch die Zahl der vorzeitigen Todesfälle um 2,5 Millionen pro Jahr sinkt.
Wasserstoff für Industrie und Flugverkehr
Der Wasserstoffbedarf im Jahr 2045 liegt dann laut IEA bei 435 Megatonnen pro Jahr. Eingesetzt werden sollte er nicht für Autos und Heizungen, wohl aber für die Industrien Chemie, Stahl, Eisen einerseits und als synthetisches Kerosin oder für hybridelektrische Antriebe direkt.
BIP-Wachstum: 0,4 Prozentpunkte mehr pro Jahr
Laut einer gemeinsamen Analyse von IEA und dem Internationalen Währungsfonds steigen die jährlichen Gesamtinvestitionen in Energie bis 2030 auf fünf Billionen US-Dollar, was das globale BIP-Wachstum um 0,4 Prozentpunkte pro Jahr erhöht. Der sprunghafte Anstieg der privaten und staatlichen Ausgaben schafft Millionen von Arbeitsplätzen in den Bereichen saubere Energie, einschließlich Energieeffizienz, sowie in der Ingenieur-, Fertigungs- und Bauindustrie. All dies führt dazu, dass das globale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2030 um vier Prozent höher ist, als es auf der Grundlage aktueller Trends erreicht würde.
Bis 2050 sieht die Energiewelt völlig anders aus. Die globale Energienachfrage ist rund acht Prozent geringer als heute, bedient aber eine mehr als doppelt so große Wirtschaft und eine Bevölkerung mit zwei Milliarden mehr Menschen. Fast 90 Prozent der Stromerzeugung stammt aus erneuerbaren Quellen, wobei Wind und Solar-Photovoltaik zusammen fast 70 Prozent ausmachen.
Der Rest kommt nach Einschätzung der IEA aus Kernkraft. Die Solarenergie ist die größte Einzelquelle der gesamten Energieversorgung der Welt. Der Anteil fossiler Brennstoffe an der Gesamtenergieversorgung sinkt von heute fast vier Fünfteln auf etwas mehr als ein Fünftel. Die verbleibenden fossilen Brennstoffe werden in Gütern verwendet, bei denen der Kohlenstoff im Produkt enthalten ist, wie z. B. bei Kunststoffen, in Anlagen, die mit Kohlenstoffabscheidung ausgestattet sind, und in Sektoren, in denen es nur wenige Optionen für emissionsarme Technologien gibt.
70 Prozent Erneuerbare in 2050
Werden diese und alle weiteren von der IEA genannten Punkte umgesetzt, stammen 70 Prozent der globalen Energie in 2050 aus Wind- und Solaranlagen. Die Kohlendioxid-Emissionen sind weitgehend eliminiert.
Die gesamte Roadmap in Richtung Ökologische Transformation steht hier zum Download zur Verfügung.
Das größte Menschheits-Projekt: Schaffen wir diesen Kraftakt ökologische Transformation mit Cleantech? Diskutieren Sie hier mit uns über Cleantech, die Roadmap der IEA und die vielen, vielen Maßnahmen, die nur durch internationale Zusammenarbeit realisiert werden können.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.