Gasförderung vor Borkum: Deutsche Umwelthilfe und Inseln klagen gegen Projekt von ONE-Dyas
Das Unternehmen ONE-Dyas will vor der Nordsee-Insel Borkum Gas fördern / Niedersächsisches Kabinett stimmt der Nordsee-Gasförderung zu / Umweltverbände klagen gegen fossiles Projekt.
Borkum ist die mit 30 Quadratkilometern und 5.000 Einwohnern größte der ostfriesischen, die teilweise zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zählt. Als staatlich anerkanntes Nordseeheilbad ist die Stadt Borkum vollständig vom Tourismus abhängig. Jetzt entsteht nur 20 Kilometer vor der Küste Borkums ein Projekt zur Gasförderung des niederländischen Unternehmens ONE-Dyas, das nach Ansicht etwa der Deutschen Umwelthilfe den Tourismus und die Ökosysteme nachhaltig stören könnte. Daher wurde im Juli 2022 eine Klage in den Niederlanden eingereicht.
Was sich kürzlich in Niedersachsen ereignete, steht symbolhaft für nahezu weltweites Geschehen: Überall werden Umweltstandards mit Füßen getreten, weil panisch gegen eine Energiekrise angekämpft wird. In Frankreich beispielsweise werden die Grenzwerte verändert, damit Atomkraftwerke länger mehr Leistung bringen können (Französisches Energiedesaster). Und, um nur ein weiteres Beispiel aufzugreifen, in Niedersachsen legt die Landesregierung eine beachtliche 180-Grad-Wendung hin – um die Gasförderung vor Borkum zu ermöglichen.
Denn eigentlich stand die Große Koalition in Niedersachsen an der Seite der Grünen: Man war sich sicher – aufgrund von Umweltbedenken sollte die Gasförderung vor Borkum auf deutschem Territorium nicht erlaubt werden. Doch seit Kriegsbeginn hat ein Umdenken stattgefunden: Umweltbedenken wurden von Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann über Bord geworfen. Jetzt gibt es eine gemeinsame Erklärung mit ONE-Dyas, die das Vorhaben unterstützt. Eine entsprechende Genehmigung wurde zwar noch nicht erteilt, gilt aber als sicher.
ONE-Dyas suchte bereits seit fünf Jahren nach Gasvorkommen zwischen Borkum und den Niederlanden – erst jetzt kommt also wirklich Bewegung in die Angelegenheit, weil die Landesregierung ihre Meinung komplett geändert hat. Aber bringt es wirklich mehr Versorgungssicherheit? Und welche Bedenken gibt es?
Erdbeben, Folgen für Tourismus und weitere Bedenken
Dabei sind die Bedenken, die sowohl die Insulaner von Borkum als auch Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe und Mobilisation for the Environment umtreiben, kaum so einfach beiseite zu wischen. Die Gasförderung würde frühestens 2024 beginnen – für den kommenden und den übernächsten Winter würde das Erdgas von Borkum also keinen Effekt haben. Der Verweis auf die Versorgungssicherheit stimmt für die kurze Frist also nicht.
Daneben machen die Umweltverbände „unkalkulierbare Gefahren für die Insel Borkum“ geltend – in Groningen wird gerade Europas größtes Gasfeld geschlossen, weil es immer wieder zu Erdbeben in der Region kam. Dort läuft die Ausbeutung des Gasfeldes schon viele Jahrzehnte, was der Region Groningen herausragende Einnahmen beschert hat. Mittlerweile – erneut vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit – gibt es dort sogar eine Debatte um eine Verlängerung der Förderung.
Daneben ist Borkum eine ausschließlich vom Tourismus abhängige Insel. Die Bohrinsel wird sichtbar sein von der Küste aus – mit unklarem Effekt auf den Tourismusstandort. Sie wird mitten im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer platziert. Die Auswirkungen auf die Ökosysteme sind: ungewiss.
Konkret möchte ONE-Dyas in einer ersten Phase bis zu 13 Milliarden Kubikmeter fossiles Gas fördern – allerdings zu Beginn sehr kleine Mengen. Und: Nur der Teil des Gases, der auf deutschem Hoheitsgebiet ist, wird auch ins hiesige Netz eingespeist. Denn das Gasfeld erstreckt sich sowohl über niederländische als auch deutsche Gewässer. Die Förderplattform wird nur 1,5 Kilometer vor der deutschen Seegrenze platziert werden. Auch in den Niederlanden warnen die klagenden Organisationen vor einer Gefährdung der Klimaziele sowie sensibler Naturräume.
Diesen ersten Abschnitt haben die niederländische Behörden bereits genehmigt. Trotzdem oder gerade deshalb klagen Deutsche Umwelthilfe, Mobilisation for the Environment, die Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland gemeinsam bei der Rechtbank in Den Haag gegen das Vorhaben. Auch die Insel Borkum hat eine Klage eingereicht, und wird dabei von benachbarten Inseln wie etwa Juist oder Norderney unterstützt. Die einhellige Meinung: Es ist falsch, vor Borkum und mitten im Wattenmeer nach Gas zu bohren!
Die klagenden Organisationen erwarten durch ihre Klage eine kritische Prüfung und einen Stopp des Projektes. Dabei macht das Bündnis niederländischer und deutscher Organisationen deutlich, dass es sowohl um langfristige Klimaziele als auch um die unmittelbare Gefährdung von Naturräumen geht.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.