Teuer + Böse = Grün?
Faktencheck: Wie dreist Populisten und rechte Medien die Wärmewende diskreditieren.
Die Entscheidung Mannheims, das Gasnetz stillzulegen, ist zum Zankapfel zwischen Klimaschützern und Populisten geworden (Cleanthinking berichtet über das Mannheimer Modell). Während die einen darin einen wichtigen Schritt zum Klimaschutz sehen, versuchen die Populisten, die Wärmewende zu diskreditieren und Stimmung gegen grüne Politik zu machen. Die rechtskonservative „Junge Freiheit“ emotionalisiert und stilisiert sich zum Anwalt der Bürger gegen den „bösen grünen Fortschritt“. Auch Youtuber wie Oliver Haas verbreiten darauf basierend Desinformation. Teuer + Böse = Grün? Faktencheck und Analyse der populistischen Strategien gegen die Wärmewende.
Die rechtskonservative „Junge Freiheit“, die sich selbst als „nationalkonservativ“ bezeichnet und von Kritikern dem „neuen rechten“ Spektrum zugeordnet wird, berichtet immer wieder über die in Deutschland eifrig diskutierte Stilllegung der kommunalen Gasnetze. Die Zeitung steht dem Klimaschutz und der Energiewende kritisch gegenüber und stellt diese oft als Gefahr für die deutsche Wirtschaft und den Wohlstand dar.
Um Klimaneutralität zu erreichen, muss Deutschland allerdings aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Gas aussteigen – und somit Gasheizungen etwa durch Fernwärme und Wärmepumpen ersetzen. Das regeln das Gebäudeenergiegesetz und die Kommunale Wärmeplanung. Schafft es Deutschland nicht, kommt es zu hohen Strafzahlungen an die Europäische Union. Überdies würde das Land ein fatales Signal an weniger reiche Staaten senden, Klimaschutz weniger zu priorisieren.
Junge Freiheit: Grüne feiern die Entscheidung und schütten Häme aus
Die Zeitung unter dem Titel „Grüne jubeln: CDU-regiertes Mannheim stellt Bürgern Gas ab“ über die Entscheidung berichtet. Die Behauptung, die grüne Wirtschaftspolitikerin Dr. Sandra Detzer, habe sich bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Partei entsprechend verhalten, weckt Emotionen und soll das Feindbild „Die Grünen“ pflegen. Ganz nach dem Motto „Teuer + Böse = Grün“.
Einen Beleg dafür, dass die Obfrau der Grünen im Bundestags-Wirtschaftsausschuss, sich hämisch geäußert und gejubelt habe, fehlt indes. Stattdessen wird sie wie folgt zitiert:
„Wer sich kürzlich noch eine neue Gasheizung eingebaut habe, sagte die Grünen-Wirtschaftsexpertin, bekomme das nun „mit aller Konsequenz“ zu spüren. Das Beispiel Mannheim zeige, so Detzer: „Das GEG war bei aller Kritik richtig.“
Detzer verteidigt das wichtige und richtige Gebäudeenergiegesetz und kritisiert diejenigen, die den Menschen auch vor einem Jahr noch eingeredet haben, sie könnten noch Gas- und Ölheizungen einbauen. Die öffentliche Debatte hat die Menschen massiv verunsichert und für einen Einbruch beim Verkauf von Wärmepumpen gesorgt.
Die Kosten für Gas und Öl werden in den nächsten Jahren stark steigen – durch den CO2-Preis, aber auch durch steigende Netzentgelte. Über diese Kostenfalle am Beispiel Öl hatte Cleanthinking am 16. April 2023 berichtet – es gab vielfältigste Warnungen auch der Grünen sowie aus der Wissenschaft. Doch all dies ist den Populisten ganz offensichtlich entgangen.
„Gasheizungsbesitzer müssen frieren“
Doch als wäre diese Zuschreibung etwa von Häme zur Abgeordneten der Grünen nicht schon dreist genug: Die „Junge Freiheit“ behauptet, „Gasheizungsbesitzer müssen frieren, auf einen Fernwärmeanschluß der Stadt hoffen oder sich kostspielig eine Wärmepumpe mit allen nötigen Dämmmaßnahmen einbauen“ (Rechtschreibfehler aus Zitat).
Die Wahrheit ist, dass die Stadt Mannheim unter Oberbürgermeister Christian Specht (CDU, Linkedin), der auch dem Aufsichtsrat des Versorgers MVV vorsteht, das Ziel verfolgt, innerhalb weniger Jahre 75 Prozent der Mannheimerinnen und Mannheimer an das Fernwärmenetz anzuschließen. Heute liegt diese Quote bereits bei 60 Prozent (120.000 Anschlüsse).
Haken an der Fernwärme-Sache aus heutiger Sicht: Noch werden 70 Prozent der Fernwärme durch ein Steinkohlekraftwerk gewonnen – die restlichen 30 Prozent durch Abwärme einer Müllverwertungsanlage. Die Hauptaufgabe liegt also darin, den Kohlestrom durch Biomasse, industrielle Abwärme und Flusswärme zu ersetzen.
Hauseigentümer, deren Gebäude nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen werden kann, die also heute noch Gas- oder Ölheizungen einsetzen, werden neben der Bundesförderung BEG auch durch die Mannheimer Klimaschutzagentur unterstützt. Lesen Sie auch: Erste Heizungsbesitzer erhalten ihre Förderung.
Youtuber Oliver Haas verbreitet Desinformation
Die Wochenzeitung aus dem Spektrum der Neuen Rechten wendet also zweifelhafte Strategien an, um die eigenen Leser emotional aufzustacheln. Sie wollen Gegenwehr provozieren gegen die grüne Transformation. Dabei schüren sie auf fragwürdige Weise Emotionalitäten, in dem sie behaupten, Menschen mit Gasheizungen müssten frieren oder den Grünen Eigenschaften wie „Häme“ zuschreiben.
Der Youtuber Oliver Haas verstärkt diese Mechanismen noch mit seinen Videos. Er nimmt die emotionalisierenden Aussagen mit unklarer Herkunft aus dem Zeitungsartikel und beginnt, über den Rückbau des Gasnetzes zu philosophieren. Dabei präsentiert Haas ein unvollständiges und teilweise verzerrtes Bild. Eine klare Strategie: Desinformation durch Weglassen.
Haas kritisiert, dass Menschen, die in den letzten Jahren noch Gasheizungen eingebaut haben, nun „auf ihren Kosten sitzen bleiben“. Es ist richtig, dass diese Investitionen sich möglicherweise nicht mehr amortisieren. Allerdings gab es bereits seit Jahren zahlreiche Informationen und Warnungen vor dieser Entwicklung, auch von Seiten der Grünen.
Daneben stellt er die Wirtschaftskompetenz aller Grünen in Frage – gerade in Bezug auf die promovierte Volkswirtin Dr. Sabine Dester, die nicht ohne Grund Obfrau der Partei im Wirtschaftsausschuss ist, eine sehr fragwürdige Aussage. Es wird strategisch mit Verallgemeinerungen gearbeitet. Differenzierung findet zu wenig statt.
Besonders „interessant“ wird das Video, als Oliver Haas davon anfängt, dass die Menschen ohne Gasanschluss ja nicht mehr ihren Gasherd benutzen könnten. Dabei ist der Gasherd in Deutschland längst aus vielfältigen Gründen auf dem Rückzug. Studien zeigen überdies, dass es weitere Schwierigkeiten durch die Verwendung von Gas beim Kochen geben kann:
- Gesundheitliche Risiken: Wie der RND-Artikel aufzeigt, setzen Gasherde beim Kochen Stickoxide frei, insbesondere Stickstoffdioxid (NO₂). Diese können die Atemwege reizen und möglicherweise zu Lungenproblemen beitragen. [Quelle: RND-Artikel]
- Sicherheit am Arbeitsplatz: Ronny Pietzner vom Verband der Köche Deutschlands weist im RND-Artikel darauf hin, dass Gasherde in der Gastronomie „Gefahren in puncto Sicherheit am Arbeitsplatz“ bergen. Die offenen Flammen seien „unsauberer sowie unsicherer“ und erzeugten „viel eigene Wärme“, die „mit angenehmen Arbeitsbedingungen in der Profiküche heute nicht mehr zu vereinbaren sind“.
Selbst wenn man also – wie Haas und andere Populisten – den Klimawandel vollständig ignoriert und daraus keinerlei Zwänge ableitet, gibt es also gute Gründe zur Abkehr vom Gasherd. Wer trotzdem weiter mit Gas kochen möchte, kann beispielsweise auf Propangas-Flaschen umrüsten.
Es ist wichtig, die Herausforderungen der Energiewende offen und ehrlich zu diskutieren – und dabei alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen. Oliver Haas‘ Video leistet dazu leider keinen konstruktiven Beitrag. Stattdessen schürt er Ängste und Ressentiments mit unvollständigen und teilweise falschen Informationen. Ausgerechnet „Junge Freiheit“ sozusagen als Primärquelle zu verwenden, ohne deren Aussagen zu überprüfen, ist ebenfalls mehr als fragwürdig.
Fazit: Die populistischen Strategien gegen die Wärmewende
Gilt also die Formel, die Junge Freiheit und Oliver Haas in den Köpfen der Menschen verankern wollen: Teuer + Böse = Grün? Nein! Das Gegenteil ist stichhaltig. Die Grünen agieren vorausschauend und behalten die sozialen Herausforderungen der notwendigen Transformation im Blick. Das belegt die neu ausgestaltete Heizungsförderung, die erstmals eine einkommensabhängige Komponente enthält.
Die Strategie der Populisten ist aber klar: Feindbilder wie Robert Habeck oder das „Heizungsgesetz“ schaffen und immer wieder in die Köpfe der Menschen zurückbringen. Dabei hilft das Schüren von Emotionen – auch wenn die faktische Grundlage dafür fehlt. Das Nachdenken ist weniger intensiv, wenn man emotional aufgebracht ist. So fällt es weniger auf, wenn beispielsweise Desinformation über Gasherde und ein angebliches Gasherd-Verbot verbreitet wird oder so getan wird, als würden zigtausend Menschen wegen der Entscheidung in Mannheim bereits diesen Winter frieren müssen.
Aus Sicht der Demokraten in der Mitte der Gesellschaft ist es essentiell, sich gegen diese Machenschaften, also die dreiste Diskreditierung der Wärmewende durch rechte Medien, aufzulehnen. Daher ist auch dieser Artikel entstanden, der exemplarisch verdeutlich, was gerade passiert.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.