Remo Gerber von Lilium Aviation spricht in einem Interview über den Status beim Cleantech-Startup – und mögliche Ambitionen in der Schweiz.
Remo Gerber ist Schweizer und lebt in Zürich, wenn er nicht gerade in München beim Cleantech-Startup Lilium Aviation ist. Dort bekleidet er die Rolle des CCO, ist also für die Kommerzialisierung der Technologie verantwortlich. In fünf Jahren will Lilium ein erstes Netz aus Elektro-Kleinflugzeugen gestartet haben, die vertikal starten und landen – sogar direkt in Innenstädten. Fliegen könnte dann wie Zugfahren werden, berichtet Gerber im Interview mit Blick.ch.
Der Lilium-Jet, an dem Remo Gerber und seine Kollegen beim Cleantech-Startup arbeiten, soll eine Reichweite von 300 Kilometern bei einer Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde erreichen. Damit will Lilium eine neue Dimension der Elektromobilität erschließen: „Die Elektromobilität hat neben dem Auto viele Dimensionen – wir erschließen eine neue“, so der 41-jährige Remo Gerber im Interview.
Dabei setzt Lilium auf den voll elektrischen Antrieb, wegen der Komplexität bei Tankvorgängen und aus anderen Gründen nicht auf Wasserstoff. Ein Vertiport, also ein Landeplatz für ein solches Fluggerät, braucht wenig Platz, kann auf einem Parkhaus oder einem Bahnhof integriert werden. Oder beispielsweise in der Nähe einer Bushaltestelle im Umfeld eines Flughafens.
Regionale Mobilität für alle schaffen
„Es geht nicht ums Hüpfen von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer“ betont Remo Gerber, der den Begriff Lufttaxi irreführend findet. „Wir wollen regionale Mobilität für alle schaffen – zum Preis eines Nahverkehrstickets erster Klasse.“ Denkbar ist in der Schweiz beispielsweise die Abdeckung der Pendler-Strecke Zürich-Genf. Diese würde mit dem Lilium-Jet 45 Minuten Zeit in Anspruch nehmen. Mit der Flugzeit wären die Lilium-Jets auch in einem verdichteten Takt gut ausgelastet sein. „Hohe Auslastung ist der Schlüssel für Profitabilität.“
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Dabei soll das Fliegen dem Bahnfahren tatsächlich ähnlich werden: Ein Ticket wird Online oder per App gebucht, wenn es freie Plätze gibt auch noch eine Stunde vor Abflug. Flüge finden nicht „On Demand“ statt, sondern nach einem Flugplan. Der Lilium-Manager Gerber dazu: „Aber da wir über Staus und Engpässe in der Infrastruktur hinwegfliegen können, werden wir auf gefragten Verbindungen flexibel mehr Plätze, also Flieger, anbieten können.“
Vertiport braucht 5.000 Quadratmeter Platz
Für das Aufladen des Lilium-Jets genüge nach einem 100-Kilometer-Flug die Ein- und Assteigezeit der Passagiere am Vertiport. Ein solcher Flugplatz bräuchte bei einer Jahreskapazität von einer bis 1,5 Millionen Passagieren 5.000 Quadratmeter Platz, sagt Gerber. Lilium bringe Vorteile mit: Mit Tragflächen statt Rotoren müsse man keinen Strömungsabriss befürchten, langsameres Fliegen und Manöver auf engem Raum sind möglich. „Weil wir so leise sind, schränken uns auch Lärmschutzzonen nicht ein.“
Derzeit arbeitet Lilium am Serien-Flieger und dessen Zulassung nach internationalen Regularien. Ab 2025 soll dann das erste Netz aus Lilium-Jets in der Luft sein. Davor muss noch ein Testprogramm absolviert und ein erster Kundenflug durchgeführt werden, so Remo Gerber: „Der Zeitplan ist eng.“ Mittlerweile nähern sich Regularien weltweit an, berichtet der Manager. Und: Behörden würden mittlerweile im Vorfeld der Entscheidungen mit den Unternehmen sprechen.
Doch neben der Hardware ist aus Sicht des Cleantech-Startups die Software ein entscheidender Faktor, Denn die sorgt für den Wechsel des Jets aus dem vertikalen in den horizontalen Flugbetrieb. „Wir müssen hohe Power zum Abheben und wenig Luftwiderstand in der Horizontalen zusammenbringen. Das ist aerodynamisch spannend.“
Remo Gerber bekleidet die Rolle des Chief Commercial Officers bereits seit 2017 bei Lilium. Der Manager promovierte in den Fächern Physikalische und Theoretische Chemie und arbeitete zuvor bei Get Taxi, also ebenfalls im Bereich des zukunftsfähigen Verkehrs.
Lilium-Jet mit Pilot – vollautomatisches Fliegen langfristig
Zum Start wird das neue Verkehrsmittel definitiv einen Pilot benötigen – auch, weil damit die Akzeptanz erleichtert werden kann. „Vollautomatisches Fliegen wird kommen“, ist sich Gerber mit dem langfristigen Blick in die Zukunft sicher. Ein potenzieller Testmarkt könnte die Schweiz übrigens werden: Mit der anvisierten Reichweite von 300 Kilometern könnte das Unternehmen von Zürich aus alles anbinden, was näher als Dijon, Verona oder Nürnberg sei.
Das Potenzial für die Idee vom elektrischen Fliegen auf der Kurzstrecke ist jedenfalls groß, zumindest in vielen Städten und Regionen, wenngleich nicht überall. Morgan Stanley schätzt den Umsatz im Markt der Elektro-Flieger bis 2040 auf 1,5 Billionen US-Dollar. Lilium möchte von diesen Umsätzen profitieren – auch, um den eigenen Investoren ein rentables Geschäft zu ermöglichen.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.