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Klimagerechtigkeit: Klimaschutz als Gerechtigkeitsfrage

Vom Elitenprojekt zur Volkspartei – Ricarda Lang im Surplus-Interview

Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat in einem bemerkenswerten Interview kurz vor der Bundestagswahl eine Neuausrichtung der Grünen rund um das Thema Klimagerechtigkeit gefordert. Ihre Worte sind nach der Wahl bedeutsamer als zuvor. Die Kandidatin für den Wahlkreis Backnang – Schwäbisch Gmünd erzählt darin von Wandel und Notwendigkeit. Es ist die Geschichte einer Partei, die sich neu erfinden muss – weg vom Image eines Elitenprojekts, hin zu einer Kraft, die Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft. Langs Worte sind klar, ihre Botschaft dringlich: Die Grünen müssen die Menschen in der Mitte der Gesellschaft erreichen, oder sie verlieren den Anschluss.

„Die Grünen werden als Elitenprojekt wahrgenommen“, sagt Lang im Interview mit dem Surplus-Magazin und legt damit den Finger in eine Wunde, die ihre Partei seit Jahren plagt. Die urbane, gut situierte Klientel scheint die Grünen fest im Griff zu haben, doch Lang will das ändern.

„Ich will keine Klientelpartei, ich will auch nicht eine Partei, die nur für einen kleinen Teil des liberalen Bürgertums da ist, sondern ich will eine Partei, die eine Mehrheit in der Bevölkerung anspricht.“

Dafür müsse man neue Zielgruppen ins Visier nehmen: Familien, Rentner, Studierende – Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen, die sich auf die Grünen verlassen können sollen.

Ihr Beispiel ist die Kampagne „Wir fahren zusammen“, bei der Fridays For Future und ver.di Hand in Hand für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV kämpften. Solche Bündnisse zwischen Klimabewegung und Arbeitnehmern sieht sie als Schlüssel, um Vertrauen jenseits des grünen Milieus zu gewinnen.

Klimaschutz neu denken: Macht, Verteilung, Gerechtigkeit

Für Lang ist Klimaschutz keine isolierte ökologische Aufgabe, sondern eine Frage von Macht, Verteilung und Gerechtigkeit. „Ungleichheit ist ein riesiges Problem. Es macht etwas mit einer Demokratie, wenn manche nach unten verloren gehen und sich andere nach oben verschieben“, betont sie. Die Grünen hätten oft die Tendenz, die soziale Frage erst nachträglich mitzudenken – Klimaschutz solle sozial sein, heißt es dann.

Doch Lang fordert eine Umkehr: „Die soziale Frage muss am Anfang stehen.“ Das bedeutet konkret: das Leben vieler wieder bezahlbar machen. Sie nennt vier zentrale Bereiche zur Stärkung auch der Gerechtigkeit: Strom, Mobilität, Mieten und Profitinflation.

Vier Säulen für ein bezahlbares Leben

Im Bereich Strom schlägt Lang vor, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß zu senken und die Netzentgelte zu deckeln – finanziert durch einen generationenübergreifenden Fonds. „In Zeiten von hohen Energiepreisen sollte der Staat nicht noch drauflegen“, sagt sie.

Bei der Mobilität kämpft sie für eine Preisgarantie beim 49-Euro-Ticket: „Damit würden wir eines der beliebtesten Projekte der Ampel killen, wenn es teurer wird.“ Für den ländlichen Raum fordert sie zudem mehr ÖPNV und sieht in autonomem Fahren eine Chance.

Beim Thema Mieten will sie die Mietpreisbremse verlängern, Ausnahmen wie möblierte Wohnungen streichen und regionale Mietenstopps ermöglichen.

Schließlich greift sie die Profitinflation an – Krisengewinne von Unternehmen, die Preise künstlich in die Höhe treiben. „Dagegen braucht es Übergewinnsteuer, härteres Kartellrecht und strategische staatliche Produktion bei essenziellen Gütern“, fordert sie.

Die Vision einer Art Klimapopulismus und der Klimagerechtigkeit braucht Gegner – und sie nennt sie beim Namen. Christian Lindner, Friedrich Merz, Donald Trump oder Elon Musk stehen für sie exemplarisch für eine Politik, die die Freiheit der Wenigen über die der Vielen stellt. „In den USA sehen wir mit Trump und Musk, wie es um den Kampf der Freiheit geht“, sagt sie.

Merz’ Steuerpolitik, die Reiche entlastet, und Lindners Festhalten an der Schuldenbremse sieht sie als direkte Gegenentwürfe zu ihrem Ansatz. „Ganz viele Menschen haben gerade das Gefühl, dass sie in der jetzigen Situation wenig Freiheit haben“, konstatiert sie – und genau hier setzt sie an.

Lektionen aus der Ampel: Mehr Spielraum wagen

Klimagerechtigkeit als Streikziel von Fridays for Future
Streik für Klimagerechtigkeit (Bild von cubicroot auf Pixabay)

Die Ampel-Zeit hat Lang geprägt. „Wir haben uns zu viele Schranken auferlegt – Schuldenbremse, keine Steuererhöhungen“, resümiert sie. Eine Reform der Schuldenbremse sei unvermeidlich, doch reicht es nicht, nur Verteidigung auszunehmen.

„Aber es geht aus meiner Sicht weit an dem vorbei, was es eigentlich bräuchte, wenn ich etwa auf unsere Schulen, Brücken und notwendige Investitionen im Klimaschutz schaue“, kritisiert sie.

Stattdessen schlägt sie ein Investitionsprogramm vor – nicht nur für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, sondern viel weitergehender. Deutlich höhere Besteuerung von Milliardären soll die Finanzierung sichern.

Für wen sie kämpft: Familien, Rentner, Studierende

Lang richtet ihren Blick auf die „einfachen Leute“. Familien sollen durch bezahlbaren Wohnraum und Mobilität entlastet werden, Rentner durch stabile Energiepreise, Studierende durch günstige Tickets und erschwingliche Mieten. „Wenn ein Döner so viel kostet wie ein Restaurantbesuch, ist das ein Problem“, sagt sie und verweist auf die reale Verschlechterung im Alltag vieler.

Ihre Botschaft ist klar: Klimaschutz darf kein Luxusprojekt sein, sondern muss die Mehrheit stärken – gegen die Profiteure oben.

Ein neuer Kurs für die Grünen

Langs Interview ist ein Weckruf. Die Grünen müssen sich nach dem schlechten Wahlergebnis bei der Bundestagswahl strategisch neu ausrichten, Klimagerechtigkeit ins Zentrum rücken und die Reichen zur Kasse bitten. Nur so, glaubt sie, kann die Klimawende gelingen – und die Partei wieder zur Kraft für die Vielen werden.

„Wir können die Freiheit der Vielen nicht schützen, wenn wir nur den Status Quo verteidigen“, warnt sie. Es ist ein Plädoyer für Mut, für Ehrlichkeit, für Offenheit in Bündnissen – und für eine Art Klimapopulismus, der gesellschaftlichen Konflikte nicht verschweigt, sondern ausfechtet.

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