
Floating Solar 2.0: Schwimmende Vertikal-Photovoltaik bei Gilching
Auf dem Jais Weiher in Gilching entsteht die weltweit erste schwimmende Vertikal-Photovoltaik-Anlage, ein Pilotprojekt, das kürzlich vom Bayerischen Rundfunk (BR) vorgestellt wurde. Entwickelt von der SINN Power GmbH in Zusammenarbeit mit dem Kies- und Quetschwerk Jais, zeigt die Anlage, wie Wasserflächen potenziell für die Stromerzeugung genutzt werden können. Die schwimmende Vertikal-Photovoltaik markiert einen innovativen Ansatz, birgt jedoch auch Unsicherheiten, die eine sorgfältige Betrachtung erfordern – von der Effizienz über ökologische Auswirkungen bis hin zur technischen Robustheit.
Technischer Aufbau der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik
Die Anlage nutzt etwa 2.500 „Floating-SKipp“-Module, die von SINN Power entwickelt und patentiert werden. Diese Module sind vertikal in Ost-West-Ausrichtung angeordnet und sollen sich unter Windlasten flexibel bewegen. Mit einer geplanten Leistung von 1,8 Megawatt-Peak (MWp) wird die schwimmende Vertikal-Photovoltaik voraussichtlich jährlich über 1.800 Megawattstunden Strom erzeugen – genug, um etwa 725 durchschnittliche deutsche Haushalte zu versorgen.
Der Bau begann im August 2024 mit Verankerungsarbeiten am Ufer des Jais Weihers, gefolgt von der Installation auf dem Wasser ab September 2024. Seit 6. April 2025 sind die letzten Modulreihen installiert worden.
Die vertikale Ausrichtung der Module bietet mehrere potenzielle Vorteile für die schwimmende Vertikal-Photovoltaik:
- Erstens umgeht sie die gesetzliche Begrenzung auf 15 Prozent Flächenversiegelung von Binnengewässern, da die Module senkrecht stehen und weniger Wasserfläche abdecken. Dies könnte kleinere Gewässer wie den Jais Weiher für die Solarenergiegewinnung erschließen.
- Zweitens ist die Ost-West-Ausrichtung netzdienlich: Sie maximiert die Stromproduktion in den Morgen- und Nachmittagsstunden, wenn der Strombedarf oft hoch ist und Überschüsse profitabel ins Netz eingespeist werden können. Ist ohnehin viel Solarstrom in den Mittagsstunden im Netz, erzeugt die Anlage deutlich weniger Solarstrom.
- Drittens sind vertikale Module weniger anfällig für Schneelasten, was die Nutzung im Winter erleichtern könnte.
Für das Kieswerk Jais verspricht die schwimmende Vertikal-Photovoltaik wirtschaftliche und ökologische Vorteile. Mit einem Autarkiegrad von etwa 65 Prozent kann das Kieswerk einen Großteil seines Strombedarfs decken, insbesondere in den sonnenreichen Monaten März bis Dezember, wenn der Betrieb am intensivsten ist. Dies könnte die Betriebskosten deutlich senken. Zudem wird eine jährliche CO₂-Reduktion von etwa 600 Tonnen angestrebt, was einen Beitrag zur Klimaneutralität der Region leisten könnte.
Gottfried Jais, Geschäftsführer des Kieswerks, betont die Praxistauglichkeit: „Die schwimmende Vertikal-Photovoltaik passt zu unserem Betrieb, da wir den Strom tagsüber direkt nutzen können. Dennoch bleiben wir bei Themen wie Energiespeicherung vorsichtig, bis wirtschaftliche Lösungen verfügbar sind.“
Floating Solar 2.0: Kritische Aspekte und wissenschaftliche Lücken
Trotz des Potenzials der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik gibt es erhebliche Unsicherheiten. Schwimmende Photovoltaik (Floating PV) ist ein junges Forschungsfeld, und es mangelt an umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnissen – insbesondere zu vertikal ausgerichteten Modulen. Ein zentraler Punkt ist die Effizienz der Anlage.
Die vertikale Anordnung könnte dazu führen, dass sich die Module bei niedrigen Sonnenständen gegenseitig verschatten, was die Stromerträge mindern würde. Ohne Langzeitdaten bleibt unklar, ob die prognostizierten Erträge realistisch sind. Wissenschaftliche Studien sind nötig, um die tatsächliche Leistungsfähigkeit der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik zu validieren.
Ein weiteres kritisches Thema ist die Robustheit unter Windlasten. Die Module der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik sind so konzipiert, dass sie sich flexibel bewegen, um Windkräften standzuhalten. Doch wie sich dies auf die Lebensdauer, Wartungskosten und Stabilität der Verankerung auswirkt, ist noch nicht ausreichend erforscht.
Starke Winde oder Stürme, die in Bayern nicht selten sind, könnten die Struktur belasten und unerwartete Reparaturen erfordern. Praxistests und technische Analysen sind unerlässlich, um die Langzeittauglichkeit des Systems zu bestätigen.
Auch die ökologischen Auswirkungen der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik auf Binnengewässer wie den Jais Weiher sind kaum untersucht. Selbst wenn die Flächenversiegelung geringer ist als bei horizontalen Anlagen, könnten Verankerungen, Wartungsarbeiten oder Materialabrieb das Ökosystem des Weihers beeinträchtigen – etwa durch Veränderungen der Wasserqualität oder Störungen der Tierwelt.
Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung ist daher entscheidend, um potenzielle Risiken zu minimieren. Ohne solche Studien bleibt die Nachhaltigkeit der Technologie fraglich.
Regionale Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor
Das Projekt verdankt seinen Fortschritt der intensiven Zusammenarbeit regionaler Akteure. Die gwt Starnberg GmbH, das Landratsamt Starnberg und die Gemeinde Gilching haben bürokratische Hürden schnell überwunden, um die Genehmigung der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik zu ermöglichen. Christoph Winkelkötter, Geschäftsführer der gwt Starnberg, hebt die Bedeutung der Vernetzung hervor: „Die Zusammenarbeit lokaler Unternehmen schafft eine nachhaltige Wertschöpfungskette, die als Vorbild dienen kann.“ Landrat Stefan Frey und Bürgermeister Manfred Walter betonen ebenfalls den Beitrag zur Klimaneutralität der Region StarnbergAmmersee.
Die enge Kooperation hat nicht nur organisatorische, sondern auch politische Hürden gemeistert. Projekte wie die schwimmende Vertikal-Photovoltaik stoßen oft auf Widerstand, sei es durch regulatorische Einschränkungen oder lokale Bedenken. Die Tatsache, dass das Projekt in kurzer Zeit umgesetzt werden konnte, zeigt, wie wichtig eine koordinierte Herangehensweise ist. Dennoch sollte die Euphorie nicht darüber hinwegtäuschen, dass die langfristigen Auswirkungen – sowohl technisch als auch ökologisch – noch evaluiert werden müssen.
Ein Pilotprojekt mit Vorbildcharakter – aber offenen Fragen
Philipp Sinn, Gründer von SINN Power, sieht in der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik einen wichtigen Schritt für die Weiterentwicklung der Solartechnologie: „Wir sind stolz, diese neue Technologie in Deutschland zu testen.“
Tatsächlich könnte die Anlage am Jais Weiher als Modell für andere künstliche Binnengewässer dienen, wie etwa Kiesteiche oder Baggerseen, die in Deutschland zahlreich vorhanden sind. Sie zeigt, wie Flächen, die landwirtschaftlich oder anderweitig nicht nutzbar sind, für die Energiewende erschlossen werden könnten.
Doch die Skalierbarkeit der schwimmenden Vertikal-Photovoltaik ist ungewiss. Die hohen Anfangsinvestitionen, die komplexe Installation auf Wasser und die unklaren Wartungskosten könnten die Wirtschaftlichkeit einschränken. Zudem sind die Erfahrungen aus diesem Pilotprojekt nicht automatisch auf andere Standorte übertragbar, da Faktoren wie Wassertiefe, Windbedingungen und ökologische Gegebenheiten variieren. Eine flächendeckende Anwendung erfordert weitere Forschung und Praxistests.
Sinn Power: Ein mutiger Schritt mit Bedacht
Die schwimmende Vertikal-Photovoltaik am Jais Weiher ist ein vielversprechendes Experiment, das technischen Fortschritt mit regionalem Engagement verbindet. Sie zeigt, wie Wasserflächen potenziell für die Energiewende genutzt werden können, ohne wertvolle Landflächen zu beanspruchen. Gleichzeitig birgt sie Unsicherheiten: Mögliche Verschattungseffekte, die Robustheit unter Windlasten, ökologische Auswirkungen und die langfristige Wirtschaftlichkeit sind noch nicht ausreichend geklärt. Schwimmende Vertikal-Photovoltaik ist ein junges Feld, das wissenschaftliche Begleitung und Langzeitbeobachtungen benötigt.
Das Projekt könnte ein Vorbild für ähnliche Initiativen werden, doch der Weg zu einer etablierten Technologie ist lang. Es erfordert eine Balance zwischen Innovationsfreude und kritischer Evaluierung, um sicherzustellen, dass die Energiewende nicht nur ambitioniert, sondern auch nachhaltig und wirtschaftlich tragfähig ist. Die schwimmende Vertikal-Photovoltaik am Jais Weiher ist ein mutiger erster Schritt – aber eben nur ein Schritt.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.