Das Stromnetz der Zukunft ist intelligent, resilient und in der Lage, sich selbst zu reparieren. Diese Vision wird im Allgäu Realität, wo der Netzbetreiber Netze BW im Juni 2024 ein Pilotprojekt gestartet hat, um sogenannte „selbstheilende Netze“ zu testen. Dahinter verbirgt sich letztlich die Digitalisierung der Energiewende auf Mittelspannungsebene – auf dieser Leitungsebene passieren besonders viele Stromausfälle. Deren Zeit soll für die Abnehmer auf Sekunden reduziert werden.
Die Energiewende weg von fossilen, dezentralen Strukturen hin zu erneuerbaren, dezentralen Verbindungen stellt das Stromnetz vor große Herausforderungen. Die dezentrale Einspeisung von erneuerbaren Energien, die zunehmende Elektrifizierung von Wärme und Verkehr sowie die steigende Anzahl von Verbrauchern belasten die Netze auf allen Spannungsebenen und erhöhen die Anfälligkeit für Störungen.
Bisher fuhren Netzbetreiber aufgrund mangelnder Sensorik und Digitalisierung im „Blindflug“, was Reparaturen erschwert und zu längeren Ausfallzeiten führt.
EnBW-Tochter Netze BW testet die Lösung: Selbstheilende Netze
Selbstheilende Netze sind nach Ansicht des Energieunternehmens EnBW sowie des Netzbetreibers Netze BW eine entscheidende Antwort auf diese Herausforderungen.
Hierzu wird in sogenannten „regelbaren Ortsnetzstationen“ modernste Sensorik eingebaut und intelligente Algorithmen genutzt, um Netz-Störungen in Echtzeit zu erkennen, zu lokalisieren und automatisiert Gegenmaßnahmen einzuleiten. So können Ausfälle für die Stromabnehmer minimiert und die Versorgungssicherheit erhöht werden.
Regelbare Ortsnetzstationen und Trafos: Herzstück der Selbstheilung
Im Zentrum dieser Technologie stehen regelbare Ortsnetzstationen und -transformatoren. Ein regelbarer Ortsnetztransformator (RONT) ist ein spezieller Transformator, der die Spannung im Stromnetz automatisch anpassen kann. Dies ist wichtig, um Schwankungen in der Einspeisung und im Verbrauch auszugleichen und so die Netzstabilität zu gewährleisten.
Eine regelbare Ortsnetzstation (RONS) ist eine Umspannstation, die mit einem RONT ausgestattet ist und zusätzlich über intelligente Steuerungstechnik verfügt. Sie kann Fehler im Netz erkennen, den Stromfluss umleiten und die Spannung regulieren, um die Auswirkungen von Störungen zu minimieren. Außerdem ist sie für die Kommunikation mit der Netzleitwarte zuständig.
Das Allgäu als Testfeld: Netze BW zeigt Innovationskraft
Netze BW hat im Juni 2024 das Pilotprojekt NETZlabor Allgäu gestartet, um die Funktionsweise selbstheilender Netze in der Praxis zu erproben. Die Region bietet ideale Bedingungen für den Test, da das Stromnetz dort aufgrund der geografischen Lage und der Witterungsbedingungen besonders anfällig für Störungen ist.
Die Vorteile selbstheilender Netze
Die Vorteile selbstheilender Netze liegen auf der Hand:
- Schnellere Fehlerbehebung: Störungen werden in Echtzeit erkannt und behoben, wodurch Ausfallzeiten minimiert werden.
- Höhere Versorgungssicherheit: Das Netz wird widerstandsfähiger gegen Störungen und Ausfälle.
- Effizienterer Netzbetrieb: Die Automatisierung von Prozessen reduziert den Aufwand für manuelle Eingriffe und optimiert den Netzbetrieb.
- Beitrag zur Energiewende: Selbstheilende Netze erleichtern die Integration erneuerbarer Energien und tragen so zur Dekarbonisierung des Energiesystems bei.
Weiterer Hintergrund: Erklärfilm zu stromheilenden Netzen
Ausblick: Eine neue Ära der Stromversorgung
Selbstheilende Netze sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer modernen, zuverlässigen und nachhaltigen Stromversorgung. Das Pilotprojekt im Allgäu zeigt, dass diese Technologie bereits heute einsatzbereit ist und das Potenzial hat, die Art und Weise, wie wir Strom erzeugen und verbrauchen, grundlegend zu verändern.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.