Wie renommierte Medien wie das Handelsblatt oder Interesting Engineering irreführend kommunizieren.
Falsche Narrative über einen angeblichen Solar-Infarkt, regionale Blackouts oder tausendfaches Artensterben durch den Abbau von Rohstoffen für die grüne Transformation gefährden den dringend benötigten Fortschritt. Irreführende Aussagen schaffen zwar Aufmerksamkeit, behindern aber faktenbasierte Diskussionen über die Energiewende – und können so zu Fehlentscheidungen führen. Der Cleanthinking-Artikel zeigt zwei ganz aktuelle, krasse Beispiele.
„Angst vor dem Solar-Infarkt“: Wie eine unglückliche Schlagzeile instrumentalisiert wird
Am 30. Juli berichtete das Handelsblatt – die beste Wirtschaftszeitung des Landes – über die Gefahr lokaler Stromausfälle durch den Boom von Photovoltaikanlagen. Im Artikel betonte Berlin-Korrespondent Klaus Stratmann, dass nicht die Anzahl der neuen PV-Anlagen ein Problem darstellt, sondern dass diese nicht regelbar sind. Denn während Windkraftanlagen seit Jahren aus dem Wind genommen werden können, sind die meisten Solaranlagen nicht „dimmbar“ oder abschaltbar.
Daher schlagen, so die Aussage im Handelsblatt-Artikel, jetzt Verteilnetzbetreiber wie „N-Ergie“ Alarm: „Wenn der Zubau einfach ungebremst weitergeht, steigt die Gefahr, dass es zu
instabilen Netzsituationen kommt“, wird der N-Ergie-Chef Maik Render zitiert. Bedeutet konkret: Wenn hinter einem Ortsnetztrafo zu viel Strom ins Netz eingespeist wird, fliegt die Sicherung heraus und es kommt zu einem lokalen Stromausfall.
Auch der Verband kommunaler Unternehmer VKU warnt „schlimmstenfalls“ vor lokalen Stromausfällen. Doch Lösungen sind längst in Sicht: Batteriespeicher, regelbare Ortsnetztransformatoren und Regel- und Messtechnik bei den Verbrauchern und auf Netzebene, um den Durchblick zu verbessern. „Viele Verteilnetzbetreiber sind heute immer noch im Blindflug unterwegs“, berichtet Gebäudetechnik-Ingenieur Holger Laudeley im Gespräch mit Cleanthinking. „Smart Meter Gateways sind seit 2011 Pflicht, aber getan hat sich kaum etwas.“
Vom seriösen Artikel zum Solar-Infarkt
Das Handelsblatt hat also ein relevantes Problem der Energiewende seriös aufgezeigt – Lösungen sind in Sicht. Soweit, sogut. Könnte man meinen. Wäre da nicht die „Verpackung“ des Artikels vom 30. Juni:
Sowohl in der gedruckten Version wie auch online verwendet das Handelsblatt die reißerische Überschrift „Angst vor Solar-Infarkt“ und behauptet, die Stromnetz-Betreiber würden „Blackouts“ fürchten. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematische und irreführende Fehlkommunikation.
Einerseits ist im Artikel lediglich von „instabilen Netzsituationen“ oder „lokalen Stromausfällen“ die Rede. Aber ein lokaler Stromausfall, der die Sicherung am Ortsnetztrafo heraushaut, ist kein Blackout, wie es die reißerische Überschrift suggeriert.
Was ist ein Blackout? Ein Blackout bezeichnet einen großflächigen, meist länger anhaltenden und oft länderübergreifender Stromausfall, der durch ein Ungleichgewicht im Stromnetz entsteht. Dabei wird mehr Strom verbraucht als eingespeist. Blackouts können schwerwiegende Folgen haben, da sie die Versorgung mit Strom für Privathaushalte, Unternehmen und kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder Verkehrsnetze unterbrechen.
Andererseits legt „Angst vor Solar-Infarkt“ nahe, dass tatsächlich irgendeine konkrete Gefahr für Leib und Leben droht. Aber Stromausfälle für wenige Minuten, noch dazu in einem so kleinen Netzbereich, sind weit von einem „Infarkt“ entfernt. Mit dem Wort „Angst“ werden zudem negative Emotionen geschürt, die eher auf die rechten Narrative der angeblich gescheiterten Energiewende einzahlen.
Rechte Youtuber nutzen reißerische Handelsblatt-Vorlage
Apropos rechte Narrative: Genau in diesem Beispiel kam es dazu, dass rechte Influencer wie Alexander Raue (Youtube Vermietertagebuch) und Boris Reitschuster über den Handelsblatt-Beitrag berichteten. Aber nicht seriös, sondern aufbauschend und tiefe Ängste schürend. Raue beispielsweise log, dass angeblich Tausende Solaranlagen „wieder rausgerissen“ werden müssten, weil die Stromnetze völlig instabil seien.
Die reißerische Vorlage vom Handelsblatt war also ein gefundenes Fressen für die Gegner der Energiewende und die willigen Helfershelfer der Männer, die die Welt verbrennen. „Raue geht es nur um Klickbait“, sagt auch Laudeley, der selbst auf unterschiedlichen Youtube-Kanälen aktiv ist. „Fehlinformationen zu verbreiten stört den nach Costa Rica ausgewanderten Kollegen nicht ansatzweise.“
Die Folge sind Verunsicherung der Bevölkerung, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien letztlich behindern können. Denn die fossile Industrie verdient drei Milliarden Dollar pro Tag und hat das größte Interesse daran, die Umstellung auf erneuerbare Energieträger zu verzögern. Aus Sicht der deutschen Bevölkerung geht es aber um den schnellstmöglichen und kosteneffizientesten Ausbau, um sich der Klimakrise entgegenzustemmen.
Es stellt sich die Frage, warum das Handelsblatt eine solche reißerische Überschrift gewählt hat. War es eine bewusste Entscheidung, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, oder ein unbeabsichtigter Fehler? Unabhängig von den Motiven zeigt dieses Beispiel, wie wichtig eine präzise und verantwortungsbewusste Berichterstattung über komplexe Themen wie die Energiewende ist. Fehlinformationen können nicht nur zu Verunsicherung in der Bevölkerung führen, sondern auch den Ausbau erneuerbarer Energien behindern und so den dringend benötigten Fortschritt in Richtung einer nachhaltigeren Energieversorgung verzögern.
„Doppelbelastung von Großspeichern beenden“
Für Laudeley ist jedenfalls klar, was die Energiewende braucht: „Klare Kommunikation und die konsequente Verbesserung von Regeln. Bedeutet unter anderem, dass die Doppelbelastung von Großspeichern, bei der diese sowohl für die Einspeisung als auch für die Entnahme von Strom Netzentgelte zahlen müssen, endlich abgeschafft werden muss.“ Das soll mit dem Solarpaket II geschehen, das aber bislang noch nicht ins Bundeskabinett eingebracht wurde.
Außerdem müssten Speichermöglichkeiten auf Gebäude- und Quartiersebene geschaffen und ausgebaut werden – im Quartier betrieben von den Netzbetreibern. Der Einbau von Smart Meter Gateways, die eine genauere Messung und Steuerung des Stromverbrauchs ermöglichen, sollte zudem beschleunigt werden.
Und generell: „Die Verteilnetzbetreiber müssen dazu endlich in regelbare Ortsnetztransformatoren investieren, um mehr Transparenz über die Leistungsströme zu bekommen. Die EWE macht das in Norddeutschland mittlerweile vorbildlich. Wenn europäische Hersteller wie Siemens keine regelbaren Transformatoren liefern können, sollten chinesische Konzerne einspringen.“
„Clean Energy Mining“: Wie irreführende Aussagen das Vertrauen in die Transformation untergraben
Eine kürzlich veröffentlichte Studie über die Auswirkungen des Bergbaus auf die Artenvielfalt wurde in einigen Medienberichten fälschlicherweise so dargestellt, als wären Solar- und Windkraftanlagen sowie Elektroautos die Hauptbedrohung für die Artenvielfalt. Schlagzeilen wie
- „Clean Energy Mining Endangers Birds and Fish“ oder
- „Is Clean Energy Killing Our Wildlife?„
- „Thousands of birds and fish threatened by mining for clean energy transition“
suggerieren einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Verlust von Arten, obwohl die Studie dies nicht belegt.
Tatsächlich untersuchte die Studie die Umweltauswirkungen des Bergbaus bzw. der Ressourcenförderung im Allgemeinen, einschließlich des Abbaus von Rohstoffen, die auch für die Herstellung von erneuerbaren Energietechnologien benötigt werden. Die Studie zeigte zwar, dass der Bergbau negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben kann, betonte aber auch, dass diese Auswirkungen durch nachhaltige Praktiken minimiert werden können.
Aber die Irreführung beginnt mit der Pressemitteilung der Universität von Cambridge, die mindestens merkwürdige Passagen enthält:
Das größte Risiko für die Arten geht vom Abbau von Materialien aus, die für die Umstellung auf saubere Energie von grundlegender Bedeutung sind, wie z.B. Lithium und Kobalt – beides wesentliche Bestandteile von Solarzellen, Windkraftanlagen und Elektroautos.
Lithium und Kobalt sind gar kein Bestandteil von Solarzellen und Windkraftanlagen, sondern lediglich von Elektroauto-Batterien. Aber auch hier gibt es mit LFP-Technologien längst kobaltfreie Alternativen – und mit Natrium perspektivisch eine Ergänzung zu klassischen Lithium-Ionen-Batterien. Überdies kommt Kobalt gar nicht und Lithium lediglich einmal in der Studie vor – die Uni versucht aber mit dieser – auch noch inhaltlich unhaltbaren Aussage – eine Verbindung zum aufmerksamkeitsstarken Thema Elektroautos und Windkraftanlagen herzustellen.
Doch diese irreführende Berichterstattung einer als vertrauenswürdig geltenden Quelle wird von Medien wie „Interesting Engineering“ mit dem Framing als „Saubere Ironie“ einfach übernommen. Und so wird der Fokus weggelenkt von der allgemeinen Notwendigkeit, etwa die Zementherstellung sauber oder Beton durch Holz zu ersetzen. Stattdessen wird den Männern, die die Welt verbrennen, ähnlich wie beim Handelsblatt eine Vorlage geliefert, um die Transformation zu bremsen.
Wie die Berichterstattung besser geht, zeigt DowntoEarth: Dort wird die Studie sinnvollerweise zusammengefasst – aber ohne die fehlerhafte Pressemitteilung der Uni Cambridge per Copy & Paste ungeprüft zu übernehmen.
Was sind die Konsequenzen solcher Fehlinformationen?
Es ist gerade im Moment, in dem das fossile System zugunsten des erneuerbaren System kippt, von zentraler Bedeutung, dass Wissenschaftler, Pressestellen und Journalisten zusammenarbeiten, um eine transparente und genaue Kommunikation über die Energiewende zu gewährleisten. Denn die Klimaschmutzlobby tut bereits genug, um zu bremsen und zu behindern.
Reißerische Überschriften und irreführende Darstellungen sollten vermieden werden. Stattdessen sollten Informationen kritisch hinterfragt und überprüft werden, bevor sie veröffentlicht werden. Trotz aller Suchmaschinenoptimierung: Gründlichkeit muss vor Schnelligkeit gehen.
Die Öffentlichkeit sollte über die Komplexität der Energiewende aufgeklärt werden, einschließlich der Herausforderungen und Chancen, die mit dem Ausbau erneuerbarer Energien verbunden sind. Nur so kann eine informierte und sachliche Debatte über die Zukunft unserer Energieversorgung geführt werden.
Saubere Kommunikation ist für die saubere Transformation von herausragender Bedeutung – werden unglückliche Formulierungen wie Solar-Infarkt oder Blackout verwendet, ist die Instrumentalisierung durch Gegner des Wandels wahrscheinlich. Das hat auch das Handelsblatt-Beispiel mit dem skurillen Video von Vermietertagebuch bewiesen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.