Solare Disruption: Die Welt installiert 2024 593 Gigawatt Solarenergie – aber das reicht nicht

Die Fakten sind eindeutig: Die solare Disruption geht mit einer Neu-Installation von 593 Gigawatt unaufhaltsam weiter. Die dynamische Wachstumsrate liegt weiterhin bei 30 Prozent. Die Preise für Solarstrom sind seit 2010 um 89 Prozent gesunken, während der Wirkungsgrad von Silizium-Solarmodulen in den letzten 40 Jahren von 15 Prozent auf über 26 Prozent gestiegen ist. Ein Ende dieses Booms ist nicht in Sichtweite – aber reicht das, um die Klimaziele einzuhalten?

In den 15 Jahren von 2008 bis 2023 hat sich das Leistungsvermögen der weltweit installierten Solaranlagen etwa verhundertfacht. Es ist eine technologische, disruptive Innovation, die ihresgleichen sucht in der Menschheitsgeschichte. Geringer werdende Kosten bei gleichzeitig steigender Leistungsfähigkeit sowie die globalen Klimaziele sind die Treiber der Entwicklung. China geht voran – bei der Produktion, dem Einsatz im eigenen Land und nicht zuletzt dem Export von Solarmodulen in alle Welt.

Die Experten von Ember Climate kalkulieren in diesem Jahr mit einem Zubau global von 593 Gigawatt. Das ist eine gewaltige Größenordnung, aber „nur“ 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Von 2022 auf 2023 gab es einen regelrechten Sprung um satte 87 Prozent. Bedeutet: Immer mehr Länder erkennen den Wert der Solarenergie. Auch Entwicklungs- und Schwellenländer positionieren sich als Anwender.

Zur Einordnung: Installiert waren bis 2020 erst 760 Gigawatt Solarstrom global.

Einer der Gründe: Solarkraftwerke können dezentral eingesetzt werden, brauchen kein umspannendes Stromnetz. Außerdem boomen neue Arten der Solarenergie: Fassaden-PV war etwa lange Zeit eine Spezialität der Schweizer – mittlerweile gibt es immer mehr Gebäude mit entsprechenden Fassaden. Weiteres Schlagwort sind etwa Agri-PV oder schwimmende Photovoltaik-Kraftwerke.

„Wenn man sich die absoluten Zahlen ansieht, für die wir in diesem Jahr auf Kurs sind und die wir letztes Jahr installiert haben, ist das völlig überwältigend“, sagte Euan Graham (Ember Profil), Hauptautor des Berichts und Stromdatenanalyst bei Ember Climate. Während die großen Märkte China, USA, Europa „reifen“, kommen neue Märkte hinzu: Von Pakistan über Indien und Brasilien bis Marokko.

Aber, und das ist der Wermutstropfen: Derzeit liefert Solarenergie weltweit nur etwa 5,5 Prozent des Stroms. Das Tempo muss sich weiter beschleunigen, damit die globalen Klimaziele mithilfe dieser nahezu idealen Energietechnologie eingehalten werden können.

Aber dazu bedarf es in den reifen Märkten kluger Vorgehen: In den USA braucht es die Veränderung der Stromnetze, in Europa mangelt es etwa in Deutschland, Italien oder Griechenland an Flexibilitätsoptionen wie Speichern oder dynamischen Tarifen.

Solarenergie hat viele Vorteile, insbesondere Photovoltaik-Module. Sie sind modular aufgebaut und lassen sich leicht skalieren – es gibt keinen großen Unterschied zwischen einem Modul, das eines von einem Dutzend auf einem Vorstadtdach ist, und einem Modul, das eines von Tausenden in einem Megawatt-Kraftwerk ist, das sich über mehrere Hektar erstreckt.

Sie werden in Fabriken unter Verwendung etablierter Prozesse in Massenproduktion hergestellt, nämlich der Halbleiterherstellung. Das bedeutet, dass sich winzige Verbesserungen bei Kosten und Leistung einzelner Module zu massiven Vorteilen insgesamt summieren.

Das Gute ist: Auch Batterien verändern gerade die Spielregeln, weil sie sich auf einem ähnlichen Disruptionspfad wie Solaranlagen befinden. Mehr dazu gibt es hier: Strom und Mobilität: Wie Batterien die Spielregeln ändern (cleanthinking.de).

„Keine Frage, der Ausbau der Solarenergie ist atemberaubend“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in DIE ZEIT. „Aber solange wir keine funktionierenden Instrumente wie eine CO2-Bepreisung haben, um zugleich die fossilen Energien aus dem System zu drängen, kann man noch nicht von einer solaren Energierevolution sprechen.“ Edenhofer fordert daher unter anderem den Aufbau einer europäischen Kohlenstoff-Zentralbank.

Analysten gehen davon aus, dass Solarenergie zur Erreichung der Klimaziele beitragen wird. Dazu braucht es aber mindestens ein Terawatt Zubau pro Jahr – flankiert vom schnellen Ausbau der Speicher. Laut Wood Mackenzie wird sich die weltweite Solarkapazität im nächsten Jahrzehnt nahezu vervierfachen.

Solarzellen gehört die Gegenwart und die Zukunft. Das ist gut so. Und die Art der Anwendungen wird weiter zunehmen. Von der Geschwindigkeit können sich andere Industrie gerne eine Scheibe abschneiden.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.