Vor einigen Wochen ist eine neue Zeitrechnung angebrochen: Selbst die Internationale Energie-Agentur schreibt von einem Wendepunkt des Energiesystems von fossil zu erneuerbar, der mittlerweile überschritten ist. Bedeutet: Unser Energiesystem wird dezentraler, demokratischer und zukunftsfähig. In diesem Beitrag geht es um eine der sauberen Technologien („Cleantech“), die den beschriebenen Wandel möglich macht: Die Solarzelle. Der Artikel verrät das Geheimnis der S-Kurve und, warum die Energiegewinnung aus Solarzellen unaufhaltsam wächst.
Was ist eine phovoltaische Zelle? Wie funktioniert die Solarzelle?
Eine photovoltaische Silizium-Solarzelle wandelt Sonnenlicht in elektrische Energie um. Sie besteht aus einem dünnen quadratischen Stück Silizium, das typischerweise 182 Millimeter lang und etwa ein Fünftel Millimeter dick ist. Auf der Vorderseite der Zelle sind dünne Drähte angebracht, während auf der Rückseite ein elektrischer Kontakt vorhanden ist.
Bei Lichteinstrahlung erzeugt das Silizium (Halbleiter) eine elektrische Spannung, wodurch die Zelle als photovoltaisch bezeichnet wird. Durch das Verbinden eines Stromkreises zwischen Vorder- und Rückseite kann die Solarzelle bei direkter Sonneneinstrahlung etwa sieben Watt elektrische Leistung erzeugen.
Aus der Silizium-Zelle werden Solarpanels
Werden 60 bis 72 dieser Solarzellen in Glasscheiben eingefügt, entsteht daraus das, wonach der Hunger der Welt gerade so gigantisch groß ist: Solarmodule, Solarplatten oder einfach schlicht Solarpanels. Im aktuellen Jahr 2024 allein werden 70 Milliarden Solarzellen produziert und somit etwa eine Milliarde Photovoltaikmodule auf Dächer montiert oder auf Feldern aufgeständert.
Diese Zellen haben mehrere Vorteile, die beinahe einzigartig sind: Der Wirkungsgrad jeder Solarzelle gleichen Typs ist grundsätzlich identisch. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Standorte und Solarzellen produzieren nachts keinen Strom – da hilft auch der Wirkungsgrad von heute meist mehr als 20 Prozent nichts. Trotzdem ist das ein mannigfaltiger Vorteil etwa gegenüber den fossilen Energieträgern oder auch der Windkraft.
Denn der Wirkungsgrad von Windrädern wiederum steigt mit der Dimensionierung der Flügel – daher sind sie in der Regel mehr als 100 Meter hoch, haben große Spannbreiten und es wird sogar daran getüftelt, stationäre Windtürme noch deutlich höher zu bauen. Auch die Windenergie ist eine erneuerbare Energieart im Siegeszug gegen die fossilen Rohstoffe Öl, Gas und Kohle – aber die Solarenergie wird in wenigen Jahren die mit Abstand wichtigste Energiequelle des Planeten sein.
Solarenergie: Wichtigste Energiequelle des Planeten
Die Erzeugung von elektrischer Energie aus Solarzellen wächst exponentiell. Experten sprechen davon, dass es sich um eine „disruptive Innovation“ handelt. Bedeutet: Das Wachstum lässt sich entlang einer S-Kurve mit langem Hals beschreiben. Der fast vertikal nach oben reichende Hals ist Ausdruck des exponentiellen Wachstums.
Die installierte Kapazität von Solaranlagen weltweit hat im vergangenen Jahr 2023 die Marke von einem Terawatt gerissen. Das sind 1.000 Gigawatt und 1.000.000 Megawatt. Also eine ganze Menge.
Ein Hauptgrund für das Turbo-Wachstum ist, dass die Kosten für Solarmodule entlang der Lernkurve seit 2010 um 85 Prozent gesunken sind. Und genau diese Kostensenkung wird in dieser Dekade noch weitergehen – unaufhaltsam wird die Solarenergie so zur dominanten Energiequelle des Planeten.
Konkret werden Solarmodule bis Mitte der 2030er Jahre die größte Quelle für elektrische Energie auf dem Planeten. Etwa zehn Jahre später könnte sie dann zur größten Energiequelle insgesamt werden – nicht nur für Elektrizität.
In diesem Jahr 2024 hat der Solarmarkt eine Größenordnung von 500 Milliarden US-Dollar. Alle drei Jahre verdoppelt sich die installierte Kapazität. Laut der Internationalen Solarenergie-Gesellschaft (ISES) wird Solarenergie…
- 2026 voraussichtlich mehr Strom erzeugen als sämtliche Atomkraftwerke der Welt.
- 2027 mehr als die Windturbinen
- 2028 mehr als die Staudämme
- 2030 mehr als die gasbetriebenen Kraftwerke
- 2032 mehr als die kohlebetriebenen Kraftwerke
Gemäß eines Szenarios der Internationalen Energie-Agentur (IEA) wird Solarenergie in den 2040er Jahren schließlich zur größten Primärenergiequelle der Menschheit.
Billige Energie als Konjunkturprogramm
Das Wesen der Solarzellen ist, dass sie einmal installiert werden, und anschließend ihren Dienst verrichten. Ohne Kosten, ohne Abgase, ohne Lärm oder andere, große Beeinträchtigungen. Aber genau diese Zuverlässigkeit ist auch ein Hindernis, dem sich Länder wie Griechenland oder Frankreich gerade ausgesetzt sehen.
Allerdings zeigen die Beispiele bereits, wie überschüssige, kostenlose Energie die Kreativität der Menschen entfesselt. Die Griechen denken über ein Förderprogramm für Haushaltsgeräte nach, die steuerbar sind: Dadurch soll in den Mittagsstunden der billige Strom verbraucht werden.
Und: Sie haben so viel Lust bekommen auf erneuerbare Energie, dass sie auch dann weitermachen, wenn sie 100 Prozent autark sind. Griechenland will Strom-Exporteur werden – das zeigt auch, wie sich durch den schnellen Ausbau der Erneuerbaren die Bedeutung einzelner Länder verändert.
Der Gründer der Denkfabrik RethinkX, Tony Seba, nennt diese überschüssige Elektrizität „Superenergie“ und hat diese U-Kurve entwickelt, um das Optimum beim Ausbau von Solar, Wind und Batterien / Speichern zu finden (Beitrag dazu bei Cleanthinking):
Es ist letztlich, wie Ullrich Fichtner bei Spiegel Online richtig schreibt: „Und wenn nicht alles täuscht (Achtung! Triggerpunkt!), dann wird es bald heißen: Energie war die Schicksalsfrage des Jahrhunderts – denn im Prinzip ist sie schon heute beantwortet.“
Das Energieproblem ist (beinahe) gelöst
Das Energieproblem zu lösen, ist also „nur“ noch eine Frage von Fleiß und Willen – die grundlegenden Hürden sind genommen. Der weitere Preisverfall der Solarzellen trägt dazu bei, dass der unaufhaltsame Boom weitergehen wird. In Deutschland auch dann, wenn Robert Habeck nicht mehr Energieminister sein sollte.
Die nächste Herausforderung besteht nun darin, die Potenziale dieser überschüssigen Superenergie richtig zu nutzen. Einerseits gibt es neben dem Stromsektor noch andere Bereiche, die ebenfalls elektrifiziert werden wollen – wie etwa die Dekarbonisierung der energieintensiven Industie, wo grüner statt grauer Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen muss. KI und Rechenzentren sowie Wärmepumpen und Elektroautos werden den Hunger nach Solarzellen deutlich vergrößern.
Und neben dem Straßenverkehr, der mit Elektrizität weitgehend dekarbonisiert werden kann, braucht es Lösungen für Schiffe (wie grünes Methanol) und Flugzeuge (wie Solarkerosin). Gelingen diese Wandelprozesse wird Solarenergie dazu beitragen, die Ernährungs-Probleme der Welt zu lösen. Präzisionsfermentation und zelluläre Landwirtschaft stecken längst in den Startblöcken, um auch hier mit kreativen, innovativen Lösungen voranzukommen.
Die saubere Energieversorgung mit Solarzellen, aber natürlich auch Windrädern oder Geothermie-Anlagen, ist die Basis für all das. Doch selbst wenn die Dekarbonisierung sowie die Umwelt- und Ernährungsprobleme gelöst sind, braucht es große Mengen Energie für die Erzeugung von Negativemissionen.
Von Kippelementen und Negativemissionen
Denn – wie Prof. Hans Joachim Schellnhuber im Vortrag betont – wird es aller Voraussicht nach zu einem „Überschießen“ über das 2-Grad-Ziel hinaus kommen. Laut dem Klimaforscher müssen wir dann dafür sorgen, dass diese Overshoot-Phase nur wenige Jahrzehnte dauert. Dauert sie zu lang, werden Kipppunkte ausgelöst – wie etwas das beschleunigte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes. Das hätte verheerende Folgen.
Allerdings gibt es nicht nur Klimawandel-verstärkende Kipppunkte, sondern auch verstärkende Super-Kipppunkte. Dazu zählt SystemIQ in einer Studie Elektroautos, grünes Ammoniak als Düngemittel und Proteine auf Pflanzenbasis. Jede Menge Möglichkeiten also, Superenergie auf Basis der Sonneneinstrahlung sinnvoll einzusetzen…
Diese Entwicklungen und viele andere, die schwer vorherzusagen sind, werden allmählich eine weitere Welt schaffen: eine, in der auf die Frage „Woher kommt Ihre Energie?“ häufiger „Von der Sonne“ als eine andere Antwort gegeben wird. Sie ist Garant für unsere saubere, günstige und sichere Energieversorgung der Zukunft.
Oder, wie es The Economist kurz formuliert ausdrückt: Das exponentielle Wachstum der Solarenergie wird die Welt verändern. Und zwar zum Besseren.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.