
Expertenkommission zur Energiewende: Erneuerbare boomen, Netzausbau schreitet voran
Forscher sehen Gaskraftwerke und Wasserstoff als Zünglein an der Waage
Die Transformation des Energiesystems steht an einem entscheidenden Punkt. Während das jüngste Statusupdate der unabhängigen Expertenkommission zum Monitoring der Energiewende Fortschritte bei erneuerbaren Energien und dem Netzausbau hervorhebt, bleiben zentrale Herausforderungen wie der Bau neuer Gaskraftwerke und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ungelöst. Diese Themen werden zum sprichwörtlichen „Zünglein an der Waage„, das über den Erfolg oder Misserfolg der Energiewende entscheiden könnte.
Gleichzeitig zeigt sich, dass die Debatte über den richtigen Weg von unterschiedlichen Perspektiven geprägt ist: Während das Öko-Institut auf einen systemischen Wandel setzt, vertritt Christian Geinitz von der FAZ eine rückwärtsgewandte Position, die fossile Technologien und Kernenergie wieder ins Spiel bringt.
Fortschritte bei Erneuerbaren und Netzen: Eine solide Basis, aber kein Selbstläufer
Die Expertenkommission betont im Statusupdate die positiven Entwicklungen bei erneuerbaren Energien. Der Anteil von Wind- und Solarenergie an der Stromerzeugung wächst kontinuierlich. Insbesondere die Solarenergie hat ihre Ausbauziele übertroffen, während auch die Windkraft an Land nach anfänglichen Verzögerungen wieder Fahrt aufnimmt. Diese Dynamik wird durch politische Maßnahmen wie beschleunigte Genehmigungsverfahren und verbesserte Förderprogramme unterstützt.
Auch beim Netzausbau gibt es Fortschritte. Die Erweiterung des Übertragungsnetzes schreitet voran, was entscheidend ist, um regionale Unterschiede in der Stromerzeugung auszugleichen. Dennoch bleibt die Integration erneuerbarer Energien ins Netz eine Herausforderung – insbesondere in Zeiten von Dunkelflauten, wenn weder Sonne noch Wind ausreichend Energie liefern. Hier fordert die Kommission weitere Investitionen in Speichertechnologien und Flexibilitätsmechanismen.

Gaskraftwerke und Wasserstoff: Zünglein an der Waage
Doch trotz dieser Fortschritte bleibt die Versorgungssicherheit ein kritischer Punkt. Die Expertenkommission warnt, dass der Bestand an steuerbaren Kraftwerkskapazitäten weiter abnimmt. Neue Gaskraftwerke sind dringend erforderlich, um Engpässe zu vermeiden – insbesondere in Zeiten hoher Nachfrage oder geringer Einspeisung erneuerbarer Energien.
Die geplante Kraftwerksstrategie der Bundesregierung wurde bislang nicht verabschiedet, was den Bau neuer Anlagen verzögert. Die Kommission fordert daher flexiblere Regelungen, insbesondere im Hinblick auf die spätere Nutzung von Wasserstoff als Brennstoff.
Wasserstoff selbst bleibt ein Sorgenkind der Energiewende. Die Entwicklung einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft kommt langsamer voran als erhofft. Hohe Kosten und eine geringe Nachfrage bremsen den Hochlauf.
Das Öko-Institut sieht hier dringenden Handlungsbedarf: Es fordert eine Überarbeitung bestehender Förderprogramme sowie klare Marktanreize für grünen Wasserstoff. Gleichzeitig schlägt es vor, vorübergehend auch CO₂-armen blauen Wasserstoff einzusetzen, um den Markthochlauf zu unterstützen.
Geinitz‘ fossile Brille: Rückwärtsgewandte Vorschläge statt zukunftsfähiger Lösungen
Inmitten dieser Herausforderungen plädiert Christian Geinitz von der FAZ für einen anderen Weg – einen, der stark auf fossile Technologien setzt. In seinen Kommentaren fordert er unter anderem den Einsatz von CCS (Carbon Capture and Storage) an Kohlekraftwerken sowie eine Rückkehr zur Kernenergie. Geinitz argumentiert, dass diese Technologien notwendig seien, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig CO₂-Emissionen zu reduzieren. Im Statusupdate spielen sie hingegen keine Rolle.
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Doch diese Sichtweise ist nicht nur rückwärtsgewandt, sondern ignoriert auch zentrale Erkenntnisse der Wissenschaft. Weder CCS noch Kernenergie spielen in den Empfehlungen des Öko-Instituts oder der Expertenkommission eine Rolle. Beide Institutionen betonen vielmehr die Notwendigkeit eines umfassenden Umbaus des Energiesystems – weg von fossilen Energien und hin zu erneuerbaren Quellen sowie innovativen Technologien wie grünem Wasserstoff.
Geinitz‘ Argumentation spiegelt ein fossil-atomares Weltbild wider (Mehr Kraftwerke jetzt!), das auf kurzfristige Lösungen setzt und langfristige Risiken ignoriert. Der Fokus auf Kernenergie übersieht beispielsweise die ungelöste Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle sowie die hohen Kosten neuer Atomkraftwerke. Auch CCS wird von Experten kritisch gesehen: Es ist teuer, technisch anspruchsvoll und lenkt Ressourcen von dringend benötigten Investitionen in erneuerbare Energien ab.
Was bedeutet das für Politik, Wirtschaft und Kommunen?
Die Ergebnisse des Statusupdates haben weitreichende Implikationen für verschiedene Akteure:
Für die Politik ist klar: Die nächste Bundesregierung muss entschlossen handeln, um offene Baustellen wie Gaskraftwerke und Wasserstoff anzugehen. Koalitionsverhandlungen sollten klare Prioritäten setzen – etwa durch gezielte Investitionen in Infrastrukturprojekte oder durch Marktanreize für grüne Technologien.
Für die Wirtschaft, insbesondere für die Wasserstoffindustrie, bieten sich enorme Chancen – aber auch Herausforderungen. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Wasserstoff mittelfristig eine zentrale Rolle spielen wird. Gleichzeitig müssen sie innovative Lösungen entwickeln, um Kosten zu senken und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Für Kommunen bedeutet dies mehr Verantwortung bei der Umsetzung lokaler Projekte zur Energiewende – sei es durch den Ausbau von Wärmenetzen oder durch eigene Initiativen im Bereich grüner Energieerzeugung. Doch viele Kommunen klagen über fehlende finanzielle Unterstützung und bürokratische Hürden.
Fazit: Ein Balanceakt zwischen Fortschritt und Blockaden
Das jüngste Statusupdate zeigt eindrücklich das Zünglein an der Waage: Die Energiewende macht Fortschritte – doch sie steht auf einem schmalen Grat zwischen Erfolg und Scheitern. Während erneuerbare Energien boomen und der Netzausbau voranschreitet, bleiben Gaskraftwerke und Wasserstoff das „Zünglein an der Waage“. Ohne entschlossene Maßnahmen droht Deutschland seine Klimaziele zu verfehlen.
Die Debatte zwischen zukunftsorientierten Ansätzen wie denen des Öko-Instituts und rückwärtsgewandten Vorschlägen à la Geinitz unterstreicht die Dringlichkeit einer faktenbasierten Energiepolitik. Nur durch einen klaren Fokus auf Innovationen und Nachhaltigkeit kann Deutschland seine Klimaziele erreichen – und gleichzeitig Versorgungssicherheit sowie wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.