Investitionen in neue Kohlekraftwerke könnten als Stranded Assets verloren gehen, weil neue erneuerbare Energien günstiger sind.
Betreiber und Finanzierer von Kohlekraftwerken sehen sich dem verstärkten Risiko ausgesetzt, insgesamt 600 Milliarden Dollar an Investitionen zu verschwenden – das nennt man Stranded Assets oder verschwindende Vermögenswerte. Schon heute sind neuer erneuerbare Energien in allen wichtigen Märkten günstiger als aus neuen Kohlekraftwerken. Das zeigt eine neue Studie.
Es ist vielleicht nur eine Randnotiz, aber im Kosovo ist nach einem Regierungswechsel im Juli 2019 beschlossen worden, ein großes Kohlekraftwerk für 1,3 Miliarden Euro nicht ans Netz zu bringen und somit den Weg für erneuerbare Energien frei zu machen. Es ist bemerkenswert, weil die westlichen Balkan-Staaten die sind, die bislang in ihrer Energieversorgung fast ausschließlich von Kohleverstromung abhängig sind. So liegen die spezifischen CO2-Emissionen in Bosnien-Herzegowina bei 733 Gramm – höher als sonst in Europa.
Carbon Tracker hat in seiner Studie zur dem Risiko für Stranded Assets auch herausgefunden, dass 60 Prozent der weltweiten Kohlekraftwerke Strom zu höheren Kosten erzeugen, als durch den Bau neuer erneuerbarer Energien erzeugt werden könnte. Spätestens 2030 wird es in sämtlichen Märkten billiger sein, neue Wind- und Solarkapazitäten zu bauen, als weiterhin Kohlekraftwerke zu betreiben.
Vor diesem Hintergrund ist der Bau oder die Inbetriebnahme von neuen Kohlekraftwerken in Ländern, in denen sie nicht künstlich durch den Staat gefördert werden, ein absehbares Finanzdesaster. Selbiges gilt auch für das Kraftwerk Datteln 4, das im Sommer seinen Regelbetrieb aufnehmen soll. Klar, hätte die Regierung dem Kraftwerk die Genehmigung entzogen, hätte es hohe Schadenersatzforderungen gegeben. Die geplante Laufzeit bis 2038 wird trotzdem nicht ausreichen, das Kraftwerk wirtschaftlich zu betreiben.
Erneuerbare Energien drängen nicht nur in Deutschland den Kohlestrom zunehmend aus dem Markt. Teilweise übernehmen auch Gaskraftwerke die notwendige Versorgung. Das zeigt: Wenn die Rahmenbedingungen in den Ländern oder auf den Kontinenten schlau gesetzt werden, wird der Markt den globalen Kohleausstieg beschleunigen. Vorausgesetzt, Staaten geben keine Garantien für Einspeisevergütungen über Jahrzehnte oder ähnliches.
Erneuerbare Energien sind der Kohle auf der ganzen Welt überlegen, und die vorgeschlagenen Kohleinvestitionen laufen Gefahr, zu gestrandeten Vermögenswert zu werden, der die hochpreisige Kohlekraft für Jahrzehnte einschließen könnente. Der Markt treibt den Übergang zu kohlenstoffarmen Energien voran, aber die Regierungen hören nicht zu. Es ist wirtschaftlich sinnvoll, dass die Regierungen neue Kohleprojekte sofort einstellen und bestehende Anlagen schrittweise auslaufen lassen.
Matt Gray, Carbon Tracker
Um die globale Erwärmung auf 1,5° Celsius zu begrenzen, muss der weltweite Kohleeinsatz in der Stromerzeugung von 2010 bis 2030 allerdings um 80 Prozent sinken. Das bedeutet, dass bis 2040 jeden Tag ein Kohlekraftwerk in den Ruhestand gehen muss. Es braucht daher auch die Einsicht aller Regierungen, endlich andere Wege einzuschlagen, und nicht die Zukunft der Menschen auf dem Planeten aufs Spiel zu setzen. Emissionen, die die Weltgemeinschaft zu viel in die Atmosphäre pustet, muss umgekehrt durch Negativ-Emissionen teuer ausgeglichen werden (etwa mit den Technologien von Climeworks oder Carbon Engineering).
Weltweit 499 Gigawatt Kohlekraftwerke in Planung oder Bau
Der Haken: Weltweit sind derzeit 499 Gigawatt neue Kohlekraftwerke geplant oder bereits im Bau, die 638 Milliarden Dollar kosten. Carbon Tracker sagt ganz klar: Diese Investitionen werden zu Stranded Assets, weil das fossile Energiezeitalter endet. Die Erkenntnis entspricht exakt dem, was Jeremy Rifkin in seinem Buch The Green New Deal herausragend beschreibt.
Alleine in China sind 158 Milliarden Dollar in Gefahr, denn dort Kohlekraftwerke mit 100 Gigawatt in Bau und weitere 106 Gigawatt in Planung. Die bestehenden Kapazitäten liegen bei 982 Gigawatt. Der Betrieb dieser Kraftwerk kostet schon heute 71 Prozent mehr als der Bau neuer erneuerbarer Energien.
In Indien sind 80 Milliarden Dollar bedroht (27 GW in Bau, 28 GW Planung). Der Kraftwerkspark hat 222 Gigawatt – die Hälfte davon kostet mehr als neue erneuerbare Energien.
In der EU sind die Investitionen vergleichsweise gering: 16 Milliarden Dollar für 7,6 Gigawatt neue Kohlekraftwerke. Diese wollen erwartungsgemäß unsere Nachbarn Polen und Tschechien an den Start bringen. Insgesamt gibt es in der Europäischen Union aber noch 149 Gigawatt an betrieblicher Kohlekapazität – diese sind zu 96 Prozent nicht wirtschaftlich im Vergleich zu neuen erneuerbaren Energien.
In den USA gibt es Kohlekraftwerke mit 254 Gigawatt – 47 Prozent kosten mehr als neue erneuerbare Energien. Neue Kohlekraftwerke sind hier nicht geplant. In Südostasien gibt es Kohlekraftwerke mit 78 Gigawatt Kapazität in Bau oder Planung, mit denen die Investoren 124 Milliarden Dollar als Stranded Assets riskieren. 2030 wird es billiger sein, neue erneuerbare Energien zu bauen als bestehende Kohlekraftwerke weiter zu betreiben.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.