Energiewende: Faktencheck zur europäischen Strompreis-Debatte statt Desinformation

Wie die „Männer, die die Welt verbrennen“ mit Blackout- und Preis-Ängsten Europas Einigkeit torpedieren

„Strompreis-Schock!“, „Blackout-Gefahr!“, „Energiewende Ende!“ – im Schatten der Strompreis-Rallye am 12. Dezember 2024, als die Börsenstrompreise auf über 900 Euro pro Megawattstunde kletterten, ist eine europäische Strompreis-Debatte entbrannt. Doch was steckt wirklich hinter den turbulenten Entwicklungen? Worüber schimpfen Norweger und Schweden? Sind deutsche Energiewende und Atomausstieg schuld an den hohen Preisen? Und: Welche Rolle spielen die „Männer, die die Welt verbrennen“, die versuchen, die Transformation des Energiesystems unter anderem mit Blackout-Ängsten zu verzögern? Dieser Artikel analysiert die Fakten, ordnet Desinformation und Verkürzungen zur europäischen Strompreis-Debatte ein und deckt die wahren Hintergründe auf.

Strompreis-Schock im europäischen Verbundnetz

Die sogenannte „Dunkelflaute“ in Deutschland – eine Phase mit geringer Wind- und Solarstromerzeugung – führte am 12. Dezember besonders zwischen 17 und 18 Uhr zum höchsten Preis (EPEX Spot) an der Börse für die Megawattstunde (MWh) von 936,28 Euro. Es war laut Montel der höchste Stundenpreis seit 2006.

Zum Vergleich: Gewöhnlich sind Preise um die 100 Euro – im Jahr 2023 lag der durchschnittliche Strompreise an der EPEX Spot bei etwa 130 Euro je MWh. 2024 gab es in Deutschland (bis 12.12.) nur 41 Stunden (von 8760) mit Preisen oberhalb 300 Euro/MWh, in den großen Nachbarländern liegt der Wert auf ähnlichem Niveau. Stundenpreise von 500 EUR/MWh und höher kommen am deutschen Strommarkt selten vor. In diesem Jahr hatten bislang sechs Stunden diese Schwelle überschritten, zeigten Börsendaten.

Die Preisspitze von mehr als 900 Euro/MWh hielt nur kurz an, verdeutlicht laut Bundesnetzagentur aber die Anfälligkeit des Stromsystems für extreme Wetterereignisse und die Notwendigkeit eines schnelleren Ausbaus der erneuerbaren Energien und von Speicherkapazitäten. Doch trotz der Kurzfristigkeit der Preisspitze hatte der Höhepunkt der eintägigen „Dunkelflaute“ erhebliche Auswirkungen in weiten Teilen Europas.

Wie kam es zur Preisspitze am 12. Dezember?

Die Strompreisspitze am 12. Dezember war das Ergebnis eines Zusammentreffens mehrerer ungünstiger Faktoren – also eine sehr selten eintreffende Extremsituation.

Windkraftflaute: Die installierte Windkraftkapazität in Deutschland liegt bei über 70 Gigawatt. Gewöhnlich liegt die Windkraftleistung in dieser Jahreszeit zwischen 15 und 25 GWh. Am 12. Dezember war aber flächendeckend Windflaute. Es sollten in der jeweiligen Stunde 2,8 Gigawattstunden (GWh) Windstrom erzeugt werden, so die Prognose von Montel Analytics kurz davor. Tatsächlich wurden aber nur 1,4 GWh erzeugt, wie aus dem Screenshot des Portals SMARD der Bundesnetzagentur hervorgeht:

Kopplung an den Gaspreis: Der Strompreis an der EPEX Spot Börse ist eng an den Gaspreis gekoppelt. Das bedeutet, dass steigende Gaspreise auch zu höheren Strompreisen führen, selbst wenn Gas in Deutschland nur noch einen geringen Anteil an der Stromerzeugung hat. Dies liegt an der „Merit-Order“, nach der die teuersten Kraftwerke, die zur Deckung der Nachfrage benötigt werden, den Strompreis bestimmen. In Zeiten hoher Nachfrage und geringer Erzeugung aus erneuerbaren Energien kommen oft Gaskraftwerke zum Einsatz, die dann den Preis setzen.

Gestiegene Gaspreise: Die Gaspreise sind in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen, unter anderem aufgrund der angespannten Lage in Nahost und der ungewöhnlich kalten Witterung in Europa. Die EU hat die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Gasspeicher bis zum 1. Februar zu mindestens 50 Prozent zu füllen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese Verpflichtung trägt ebenfalls zu den höheren Gaspreisen bei.

Weitere Faktoren: Neben den bereits genannten Faktoren spielten auch Kraftwerksausfälle und die erhöhte Stromnachfrage aufgrund der kalten Witterung eine Rolle bei der Strompreisspitze. Außerdem berichten Medien wie der Bayerische Rundfunk und die FAZ über mögliche Marktmanipulation. Das gilt in diesem Fall aber als unwahrscheinlich. Behördenchef Klaus Müller nimmt die Vorwürfe ernst und kündigt an, die Vorgänge genau zu prüfen. Auf Twitter schreibt er, man „prüfe die Vorwürfe marktmissbräuchlichen Verhaltens.“.

Die Debatte um mögliche Marktmanipulation zeigt, wie komplex die Strompreis-Debatte ist und wie viele Interessen aufeinandertreffen. Es ist wichtig, die Fakten von den Gerüchten zu trennen und eine sachliche Diskussion zu führen. Doch anstatt die Fakten zu prüfen, verbreiten viele Akteure lieber Desinformation und schüren Blackout-Ängste. Welche Interessen stecken dahinter? Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

Habeck: Hohe Strompreise lassen sich nicht vermeiden

Beim Handelsblatt-Industriegipfel am 13. Dezember äußerte sich auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu der Strompreis-Debatte. „Schwankende Strompreise und hohe Strompreise, in Phasen wo nicht genug Sonne und Wind ist, werden sich nicht vermeiden lassen“, so der Minister laut Montel. „Wir werden in der Zukunft in einem erneuerbaren Stromsystem immer wieder zwei, drei Wochen haben, wo sehr hohe Strompreise sind. Das wird so sein”, so Habeck. Auf der anderen Seite werde es „dann eben auch 50 Wochen haben, wo die Strompreise günstig sind”.

Er betonte außerdem, dass der Zubau weiterer, besonders flexibler Kraftwerke, helfen würde. Die Bundesregierung plante vor dem Bruch, das Kraftwerkssicherheitsgesetz noch dieses Jahr zu verabschieden und mit den Auktionen für neue Gaskraftwerke zu beginnen. Dieses Gesetzt schafft durch Subventionen und andere Anreize den notwendigen Rahmen, um ab zirka 2030 zumindest den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen umsetzen zu können.

Mitte der Woche hatte einer der Staatssekretäre, Philipp Nimmermann, aber erklärt, dass das auch von der Energieindustrie dringlich verlangte Gesetz nicht mehr verabschiedet werden kann, weil es keine Einigung mit der Union und der FDP gegeben hat. Habeck hofft trotzdem weiter, dass die ersten zwei Auktionen noch durchgeführt werden könnten, um den Zubau weiterer moderner Kapazitäten zu ermöglichen. „Das wäre wirklich wichtig“, so Habeck: „Es würde sich bitter rächen, wenn wir das nicht tun.”

Neben dieser mittelfristigen Lösung „Neue Kraftwerke“ braucht es allerdings auch kurzfristige Ansätze, um sicherzustellen, dass die Preisausschläge nicht noch größer werden. Hierzu ist notwendig, zusätzliche Flexibilitäten zu schaffen. Das können beispielsweise Batteriespeicher auf unterschiedlichen Ebenen sein. Derzeit gibt es laut Bundeswirtschaftsministerium, Anfragen für 100 Gigawatt Großspeicher bei den Netzbetreibern. Es braucht jetzt eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, um diese Speicher auch wirklich ans Netz zu bringen.

Hätte es zu einem unkontrollierbaren Blackout kommen können?

Am 12. Dezember lag die sogenannte Last in der Hochpreisstunde ab 17 Uhr – also dann, wenn die Deutschen von der Arbeit nach Hause kommen – bei etwa 72 Gigawatt. Aufgrund der Kälte an besagtem Tag ein realistischer Wert. Fast 20 Gigawatt bezog Deutschland dabei aus dem Ausland – also etwa aus Frankreich, Belgien, Norwegen und Dänemark. Trotzdem bestand keine Gefahr eines Blackouts, denn die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW) forderten keines der sogenannten Reservekraftwerke an.

Ein Blackout ist ein großflächiger und länger anhaltender Stromausfall, der zu erheblichen Beeinträchtigungen der kritischen Infrastruktur führen kann. Um solche Szenarien zu verhindern, halten die Übertragungsnetzbetreiber gesetzliche Reservekraftwerke vor, die im Notfall aktiviert werden können. Diese Kraftwerke sind meist stillgelegt und werden nur dann in Betrieb genommen, wenn die Stromversorgung gefährdet ist. Es gibt verschiedene Arten von Reservekraftwerken, z.B. Kohle-, Gas- und Pumpspeicherkraftwerke, die je nach Situation eingesetzt werden können.

Ein Sprecher der STEAG – der Energiekonzern hat fünf Kohlekraftwerke in gesetzlicher Reserve – erklärte, dass diese Kraftwerke nur in Betrieb gesetzt werden, wenn tatsächlich eine unmittelbare Gefahr für die Versorgungssicherheit besteht. Da das am 12. Dezember nicht der Fall war, gab es ganz offensichtlich genug Möglichkeiten, die Last durch hiesige, fossile Kraftwerke in Verbindung mit Importen zu decken.

„Die sichere Stromversorgung war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Deutschland verfügt über ausreichend Erzeugungskapazitäten“, bestätigt die Bundesnetzagentur. Mit einer durchschnittlichen Stromausfallzeit von nur 13,7 Minuten pro Haushalt im Jahr 2023 gehört Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Versorgungssicherheit weltweit, wie heise berichtet.

Derzeit fordert STEAG mehr Geld für Reservekraftwerke. Derzeit fordert STEAG mehr Geld für Reservekraftwerke, was allerdings kritisch gesehen werden kann. Kritiker argumentieren, dass die Kosten für die Vorhaltung von Reservekraftwerken zu hoch sind und die Energiewende behindern. Befürworter hingegen betonen die Bedeutung von Reservekraftwerken für die Versorgungssicherheit, insbesondere in Zeiten des Umbaus des Energiesystems.

Für interessierte Leser bietet der Podcast von detektor.fm mit Prof. Bruno Burger vom Fraunhofer ISE weitere Einblicke in die generelle Energiesituation in Deutschland: detektor.fm-Podcast.

Thelen, Vahrenholt, Bild: Blackout-Ängste werden geschürt

Während keine reale Blackout-Gefahr besteht, werden Medien wie die Springer-Blätter Welt und Bild oder Cicero nicht müde, entsprechende Ängste zu schüren. Auch der ehemalige Shell-Manager Fritz Vahrenholt suggeriert in seinem Tweet, im Januar könne es bei gleicher Lage brenzlig werden. Dabei wird dann die Last im Stromnetz mit voraussichtlich 75 Gigawatt auch nicht wesentlich höher sein als am 12. Dezember – und dass erneut eine länderübergreifende Extremsituation eintritt, ist unwahrscheinlich.

In die Serie der Angstmacher reiht sich auch Investor Frank Thelen ein. Ob unbedarft oder bewusst, um die FDP im Wahlkampf zu unterstützen: Auf Twitter schreibt er: „Gestern sind wir dem Atomstrom unserer Nachbarn einem Blackout in Deutschland entkommen – aber wie lange noch?“

Diese Aussagen sind jedoch irreführend. Auch auf ausführliche, sachliche Kritik hin, ändert Thelen seinen Post nicht:

Es wird deutlich: Die Blackout-Ängste werden gezielt instrumentalisiert, um die Energiewende zu diskreditieren, um den Wahlkampf in Richtung von CDU und FDP zu lenken, und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Thelen und Vahrenholt nutzen überdies die Strompreisspitze, um ihre jeweilige Agenda zu verbreiten – Thelen die Rückkehr zur Atomkraft, Vahrenholt die Abkehr von erneuerbaren Energien.

Dabei hätte Thelen als Investor beim Energiespeicher-Herstellers Kraftblock durchaus die Bedeutung von Speicherlösungen zur Abwendung von Preisspitzen hervorheben können.

Deindustrialisierung oder Transformation? Das Beispiel Feralpi und die Anke GmbH

Die Strompreis-Debatte brachte zwar keine Blackout-Gefahr mit sich, hatte aber dennoch konkrete Auswirkungen auf Teile der deutschen Industrie, wie die Beispiele Feralpi und Anke GmbH verdeutlichen.

Grünes Elektrostahlwerk von Feralpi in Sachsen

Dass Mittelständler wie das Feralpi Elektrostahlwerk Riesa so von den hohen Strompreisen betroffen sind – die möglicherweise durch Marktmanipulation zustande gekommen sind –, ist besonders bitter, weil das Unternehmen im sächsischen Riesa kräftig investiert und neue Arbeitsplätze schafft. Denn: Die Auftragslage ist sehr gut.

Das Elektrostahlwerk hat nach Medienberichten wie dem vom MDR seine Produktion aufgrund der hohen Börsenstrompreise immer mal wieder eingestellt, um höhere Verluste zu vermeiden. „Wir stoppen in solchen Phasen die Produktion im Stahlwerk, um uns vor noch größeren Verlusten zu schützen. Das geht klar zu Lasten von Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Wir erreichen unsere Jahresproduktionsziele nicht“, so Riesa-Werksdirektor Uwe Reinecke gegenüber der Sächsischen Zeitung.

Besonders ärgerlich sei, dass Deutschland diese Situation selbst geschaffen habe, ohne die Folgen für die energieintensive Industrie zu berücksichtigen.

Und: Das Unternehmen setzt weiter bewusst auf „grünen Stahl“. Das Feralpi Elektrostahlwerk in Riesa, Sachsen, ist ein Vorbild in Sachen Transformation. Es produziert bereits „grünen“ Stahl und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Energiewende.

Die vorübergehende Stilllegung des Werkes wurde von einigen Akteuren als Beleg für das Scheitern der Energiewende und die „galoppierende Deindustrialisierung“ Deutschlands instrumentalisiert. Diese Interpretation verkennt jedoch die Tatsachen und ignoriert die langfristigen Ziele der Transformation der Industrie hin zu einer klimafreundlichen Produktion.

Metallbaubetrieb Anke aus Essen

Die Anke GmbH & Co. KG, ein Metallbaubetrieb aus Essen, ist ebenfalls von den hohen Strompreisen betroffen. Das Unternehmen hat einen dynamischen Stromvertrag, der es direkt an die Preisschwankungen an der Börse koppelt. „Steigt der Strompreis an der Börse, steigt auch unser Strompreis vor Ort“, erklärt Geschäftsführer Tobias Wesselow auf Nachfrage von Cleanthinking.de.

Um auf die hohen Strompreise zu reagieren, hat die Anke GmbH ihre Produktionsprozesse angepasst und die Laufzeiten der Öfen optimiert. „Diese Maßnahmen erfordern eine hohe Flexibilität seitens unserer Mitarbeitenden“, so Wesselow. „Dennoch verursacht die aktuelle Situation erhebliche zusätzliche Kosten.“

Die Anke GmbH hat in diesem Jahr eine PV-Anlage installiert, um ihren Strombedarf teilweise selbst zu decken. „Das nutzt uns aber auch nichts, wenn die Sonne nicht scheint“, sagt Wesselow. „Wir waren davon ausgegangen, dass es ein Gesamtkonzept für die Energieversorgung von Deutschland gibt und dementsprechend eine Absicherung betrieben wird. Heute wissen wir, dass dem nicht so ist.“

Wesselow kritisiert die fehlende Transparenz und die mangelnden Warnsysteme für Strompreise. „Leider ist das Thema Strom auch nicht besonders transparent und ein Warnsystem gibt es auch nicht wirklich“, sagt er. „Es heißt beim Strom wie so oft: Hilf dir selbst oder gehe unter.“

Um die Strompreisentwicklung besser planen zu können, verfolgt Wesselow mittlerweile sogar die Wettervorhersagen für Segler, um die Windentwicklung der kommenden Tage abzuschätzen. „Wenn mir das einer vor Jahren gesagt hätte, ich hätte ihn ausgelacht“, sagt er. „Heute muss der Geschäftsführer auch Meteorologe sein.“

Die Beispiele Feralpi und Anke GmbH zeigen, dass die Strompreis-Debatte konkrete Auswirkungen auf die deutsche Industrie hat. Unternehmen mit einem hohen Strombedarf und dynamischen Stromverträgen sind besonders betroffen. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen für die Energiewende so zu gestalten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gewährleistet ist.

Hier ist der Schweden-Abschnitt, überarbeitet und ergänzt um die Punkte, die wir besprochen haben:

Schweden: Kritik, Widersprüche und die Desinformation der BILD-Zeitung

Schweden spielt eine wichtige Rolle in der europäischen Strompreis-Debatte. Die schwedische Energieministerin Ebba Busch äußerte sich kritisch über Deutschland und nutzte die Strompreisspitze am 12. Dezember, um die deutsche Energiepolitik zu attackieren. Medien wie die Bild-Zeitung hoben hervor, dass Ebba Busch, wütend auf Deutschland sei, weil der Atomausstieg vollzogen wurde:

Quelle: Bild-Zeitung

Diese Verbreitung der Kritik der Ministerin ist jedoch irreführend, wie watson beispielsweise herausgearbeitet hat:

Die „Bild“ behauptete in ihrem Artikel, dass sich dieses Zitat auf den Atomausstieg Deutschlands beziehe. Das ist falsch. Busch beschwert sich dort vielmehr darüber, dass es in Deutschland nur eine Strompreiszone für das ganze Land gibt. (Quelle: watson)

Die Bild-Zeitung bezieht sich auf einen schwedischen Zeitungsartikel, in dem sie die hohen Strompreise in Schweden mit den in der Strompreiszone Südschweden 2019 und 2020 abgeschalteten Atomkraftwerken Ringhals 1 und 2 in Verbindung bringt. Den deutschen Atomausstieg findet sie zwar falsch, respektiert diesen jedoch – alles Andere wäre auch anmaßend.

Diesen Zusammenhang verschweigen aber BILD oder Cicero oder die Youtuber „Oli“ und „OutdoorChiemgau„, der sich zynischerweise als „Mr. Blackout“ bezeichnet, bewusst oder unbewusst. Dadurch entsteht ein völlig falscher Eindruck. In der Desinformationskampagne wird einerseits behauptet, „der Blackout kommt“ (Oli) und andererseits, die deutsche Energiewende sei am 12. Dezember 2024 beendet worden (Mr. Blackout).

Kritik an Ebba Busch

In Schweden selbst steht Busch unter Druck. Ihre Aussagen zur Strompreisspitze und zum Atomausstieg wurden kritisch hinterfragt. Insbesondere ihre Behauptung, die Strompreisspitze wäre in Schweden nicht passiert, wenn die stillgelegten Kernkraftwerke Ringhals 1 und 2 noch in Betrieb wären, stieß auf Widerspruch. Busch wurde wegen dieser Aussage vor einen Ausschuss geladen, um sich zu erklären. (Quelle: Aftonbladet)

Mario Buchinger, ein Experte für Energiepolitik, analysiert die Situation in Schweden wie folgt: „Schweden hat bei der Energieversorgung Probleme. Sie versorgen sich viel mit Wasserkraft, was gut ist. Aber sie halten auch am Fehler Kernenergie fest, was zu Problemen führt. Es müssen Anlagen abgeschaltet werden oder stehen wegen zu umfangreicher Wartungsumfänge nicht zur Verfügung.“ (Quelle: Linkedin)

Strompreiszonen – eine Lösung?

Busch fordert im Kern die Einführung von Strompreiszonen in Deutschland, um die Auswirkungen auf die Strompreise in Südschweden zu senken. Strompreiszonen würden dazu führen, dass die Strompreise in verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedlich hoch wären, je nach Angebot und Nachfrage. Dies könnte jedoch auch zu neuen Ungleichgewichten und Wettbewerbsverzerrungen führen.

Der Fraunhofer-Forscher Leonhard Probst erklärt gegenüber Cleanthinking.de: „Strompreiszonen machen nur einen Unterschied, wenn Netzengpässe vorliegen. Das war vorgestern nicht der Fall. Hier handelt es sich meines Erachtens um ein Missverständnis über die Funktionsweise des Stromhandels.“ Eine Einführung scheitert bislang auch am Widerstand Bayerns, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt.

Probst betont, dass am 12. Dezember keine Netzengpässe vorlagen, sondern eine allgemeine Stromknappheit: „Ja, aber eben in ganz Deutschland (auch im Norden wehte ja kein Wind) und auch in Dänemark war annähernd der gleiche Preis.“ Er verweist dabei auf die Daten von Energy-Charts, die zeigen, dass die Strompreise in Deutschland und Dänemark am 12. Dezember sehr ähnlich waren.

Probst erläutert weiter, dass die Forderung nach Strompreiszonen eher die „gewöhnlichen Momente“ des Jahres betrifft, also dann, wenn durch den Windstrom im Norden und Verbrauch im Süden Engpässe auftreten. „Der Preis in zwei Gebotszonen würde sich nur in Zeiten unterscheiden, in denen es heute bereits Redispatch gibt“, so Probst. „In aller Regel wäre also in sehr windreichen Zeiten im Norden dort auch der Preis niedriger, wodurch auch im Jahresmittel der Preis niedriger wäre und auch zu diesen Zeiten eben tendenziell mehr nach Skandinavien exportiert würde, wovon diese profitieren.“

Probst kritisiert die „Unkenntnis bei den beteiligten Politikern“ und die politische Instrumentalisierung der Strompreis-Debatte. Die „Männer, die die Welt verbrennen“, nutzen die Debatte, um ihre eigene Agenda zu verbreiten und die Energiewende zu behindern.

„Kaputter“ deutscher Strommarkt

Busch behauptet, der deutsche Strommarkt sei „kaputt“ und deshalb halte Schweden die zusätzliche Direktverbindung nach Deutschland („Hansa PowerBridge„) zurück. Diese Aussage ist falsch. Der deutsche Strommarkt funktioniert im Großen und Ganzen gut und ist ein wichtiger Bestandteil des europäischen Stromverbunds. Schweden hat den Bau der neuen Stromleitung „Hansa Powerbridge“ aus eigenen energiepolitischen Gründen gestoppt.

Denn Südschweden ist als industriereiche Region ähnlich abhängig von der Windkraft, wie Deutschlands Norden. Zur Lösung der Problematik sind also – wie in Deutschland auch – vielmehr Stromspeicher erforderlich.

Darüber hinaus könnte Schweden von seinem Nachbarn Norwegen lernen, der die Profite aus dem Stromhandel mit Dänemark und Deutschland nutzt, um die dynamischen Strompreise der Verbraucher zu deckeln. Dies wäre auch für Schweden eine Möglichkeit, die Strompreise für die Verbraucher zu stabilisieren und die Akzeptanz für die Energiewende zu erhöhen.

Norwegen: Profiteur und Vorbild?

Auch die Norweger haben die Schuld an zeitweise hohen Strompreisen auf Deutschland geschoben. Auch diese Information hat Fritz Vahrenholt zu Desinformation eingeladen, der behauptete, Norwegen wolle die indirekte Stromverbindung nach Deutschland (via Dänemark) und die direkter Verbindung kappen. Das ist jedoch falsch, wie die Gegenrede zeigt:

Generell ist Norwegen ein wichtiger Stromhandelspartner für Deutschland. Das Land verfügt über reichlich Wasserkraft und exportiert in Zeiten hoher Nachfrage und geringer Erzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland günstig erzeugten Strom. Norwegen profitiert also von der aktuellen Strompreis-Debatte, insbesondere von den hohen Preisen an der Strombörse.

Dynamische Preise und staatliche Deckelung

In Norwegen selbst sind Smart Meter und dynamische Stromtarife verbreitet, die die Verbraucher direkt an den Preisschwankungen an der Börse beteiligen. Um die Verbraucher vor extremen Preissteigerungen zu schützen, hat die norwegische Regierung jedoch eine staatliche Deckelung der dynamischen Strompreise eingeführt. Diese Deckelung wird durch die Profite aus dem Stromhandel mit dem Ausland finanziert.

Beispiel:

Wenn die Strompreise an der Börse stark steigen, wie am 12. Dezember 2024, profitiert Norwegen von den hohen Exportpreisen. Diese Profite werden verwendet, um die Strompreise für die norwegischen Verbraucher zu subventionieren und so die Kosten für die Verbraucher zu begrenzen.

Norwegen als Vorbild?

Das norwegische Modell zeigt, wie man Energiewende sozialverträglich gestaltet werden kann und die Verbraucher vor extremen Preissteigerungen geschützt werden können. Schweden könnte von Norwegen lernen und die Einnahmen aus dem Stromhandel nutzen, um die Strompreise für die Verbraucher zu stabilisieren.

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Geopolitische Dimensionen und die Rolle Russlands

Die Strompreis-Debatte fällt zeitlich mit einem massiven russischen Angriff auf die Energieinfrastruktur der Ukraine zusammen. Die Ukraine ist Teil des europäischen Verbundnetzes, und der russische Angriff hat die angespannte Lage auf dem europäischen Strommarkt zusätzlich verschärft. Es ist wahrscheinlich, dass Russland die Debatte gezielt ausnutzt, um die europäische Solidarität mit der Ukraine zu untergraben und die westlichen Demokratien zu destabilisieren, wie u.a. die tagesschau berichtet.

Desinformation und die „Männer, die die Welt verbrennen“

Die Strompreis-Debatte hat auch die Mechanismen der Desinformation deutlich gemacht. Akteure wie Oliver Haas („Oli redet“), Frank Thelen und die BILD-Zeitung verbreiten falsche Narrative und schüren Ängste, um die Energiewende zu diskreditieren. Hinter diesen Akteuren stehen oft mächtige Interessen, die vom Status Quo profitieren und die Transformation des Energiesystems verhindern wollen.

Die fossile Lobby, allen voran das internationale Netzwerk „Atlas Network“, finanziert Think Tanks und Medien, die die öffentliche Meinung manipulieren und den Klimaschutz verzögern. Diese „Männer, die die Welt verbrennen“, sind die wahren Profiteure der Debatte.

Das Atlas Network ist eine globale Non-Profit-Organisation mit Sitz in den USA, die marktliberale Think Tanks und Initiativen unterstützt. Das Netzwerk wird von großen Unternehmen und Stiftungen finanziert, darunter bekannte Namen wie Koch Industries und ExxonMobil, die ein klares Interesse an der Verlängerung des fossilen Zeitalters haben.

Das Atlas Network hat weltweit über 500 Partnerorganisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Das Netzwerk fördert die Verbreitung marktliberaler Ideen und bekämpft staatliche Regulierungen, die den Interessen seiner Geldgeber entgegenstehen. Im Bereich Klima und Energie bedeutet das oft, die Energiewende zu behindern und den Klimaschutz zu verzögern.

Ausblick: Die Zukunft der Energieversorgung

Die Strompreis-Debatte hat die Herausforderungen der Energiewende deutlich gemacht. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist zwar unerlässlich, aber er allein reicht nicht aus. Wir brauchen auch:

  • Stromspeicher: Batteriespeicher, Pumpspeicherkraftwerke und Wasserstoffspeicher, um die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energien auszugleichen.
  • Flexible Gaskraftwerke: Gaskraftwerke, die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden können, um die Versorgungssicherheit in Zeiten geringer Erzeugung aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten.
  • Intelligente Stromnetze (Smart Grids): Um die dezentrale Erzeugung und Speicherung von Energie zu integrieren und den Strom dorthin zu leiten, wo er gebraucht wird.
  • Dynamische Stromtarife: Um Anreize für Verbraucher zu schaffen, ihren Stromverbrauch flexibel an die Angebotssituation anzupassen.
  • Europäische Zusammenarbeit: Um die Energiewende gemeinsam zu gestalten und die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen.

Die Strompreis-Debatte ist eine Chance, die Energiewende voranzutreiben und die Weichen für eine zukunftsfähige Energieversorgung zu stellen. Wir dürfen uns nicht von den „Männern, die die Welt verbrennen“ und ihren Desinformationskampagnen ablenken lassen. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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