Report „Der Durchbruch-Effekt“ definiert drei Super-Kipppunkte, die helfen, die Welt vor der Klimakatastrophe zu bewahren.
Der Energiesektor hat den disruptiven Kipppunkt bereits erreicht: 75 Prozent der in 2022 aufgebauten neuen Energie-Kapazitäten waren Solar und Wind. Ein Kipppunkt beschreibt den Zeitpunkt, an dem eine eine Veränderung eintritt, eine Technologie ein Massenphänomen. Der Report „The Breakthrough Effect“ („Der Durchbruch-Effekt„), der von SystemIQ und Forschern der Universität Exeter zum Wirtschaftstreffen in Davos vorgelegt wurde, definiert drei weitere Super-Kipppunkte, die helfen sollen, die Welt vor der Klimakatastrophe zu bewahren: Elektroautos, grünes Ammoniak und Proteine auf Pflanzenbasis („Alternative Proteine„).
Die Forscher von SystemIQ und der Universität Exeter haben ermittelt, dass die Super-Kipppunkte Elektroautos, grünes Ammoniak als Düngemittel und Proteine auf Pflanzenbasis die Kohlenstoff-Emissionen massiv reduzieren könnten. Denn: Alleine diese drei Bereiche machen 70 Prozent der globalen Emissionen aus. Und: Das Erreichen der Kipppunkte sorgt nicht nur für den Wandel im spezifischen Sektor, sondern löst weiterführende Kaskaden-Effekte aus. Das ist mit „Der Druchbruch-Effekt“ gemeint.
„Positive sozioökonomische Kipppunkte können auftreten, wenn neue Lösungen eine Schwelle in Bezug auf Erschwinglichkeit, Attraktivität oder Zugänglichkeit im Vergleich zu etablierten Lösungen überschreiten.“ Das ist die Kurzformel. „Ein Kipppunkt ist ein Punkt, an dem ein kleiner Eingriff eine große Wirkung haben kann. Die im Bericht ermittelten „Super-Kipppunkte“ senken nicht nur die Emissionen in einem Schlüsselsektor, sondern unterstützen auch schnellere Veränderungen in anderen Teilen der Wirtschaft.
Kommt es zu passenden Vorschriften für den Verkauf von Elektroautos, zur Verwendung von grünem Ammoniak als landwirtschaftes Düngemittel und zur öffentlichen Beschaffung von Proteinen auf Pflanzenbasis, kommt eine „Kaskade von Kipppunkten“ in Gang, die insgesamt massiver Reduktion der Kohlenstoffemissionen führt. Beispielsweise sind damit billigere Batterien, der noch schneller Ausbau von Solar und Wind, billigerer Wasserstoff und schließlich die Dekarbonisierung der Schifffahrts- und Stahlindustrie gemeint.
Ein Kipppunkt tritt ein, wenn eine kohlenstofffreie Lösung einen Punkt erreicht, an dem sie die bestehende kohlenstoffreiche Lösung verdrängt. Sobald ein Kipppunkt erreicht ist, verstärken sich die Rückkopplungsschleifen selbst und führen zu einem exponentiellen Wachstum bei der Einführung der neuen Lösung und einem raschen Rückgang der alten.
„Die Wirtschaftssektoren mit hohem Schadstoffausstoß existieren nicht isoliert. Sie sind eng miteinander verflochten, und Nullemissionslösungen können den Übergang in mehreren Sektoren gleichzeitig beeinflussen“, so Simon Sharpe, einer der Hauptautoren von „Der Durchbruch-Effekt“.
Super-Kipppunkt 1: Elektroautos
Dieser Super-Kipppunkt zu Elektroautos steht dem Bericht zufolge unmittelbar bevor, weil die Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen stark ansteigen. Ausstiegsdaten aus dem Verbrennungsmotor wie etwa in Europa (2035), Großbritannien (2030) oder China (2035) treiben das Wachstum. Auch in den USA folgen mehr und mehr Bundesstaaten dem Weg von Kalifornien.
Dieser Ausbau wird dazu führen, dass Batterien für die Energiespeicherung billiger werden, was wiederum das Wachstum der erneuerbaren Energien weiter beschleunigen wird. Mehr grüne Energie bedeutet niedrigere Stromrechnungen, was Wärmepumpen noch kostengünstiger macht.
Super-Kipppunkt 2: Grünes Ammoniak als Düngemittel
Der zweite Super-Kipppunkt ist die Festlegung von Vorschriften für grüne Düngemittel, die die aus fossilem Gas hergestellten Düngemittel ersetzen sollen. Ammoniak ist ein wichtiger Bestandteil und kann aus Wasserstoff hergestellt werden, der durch erneuerbare Energien in Kombination mit Stickstoff aus der Luft erzeugt wird.
Wenn die Regierungen einen größeren Anteil an grünem Dünger vorschreiben, wird dies zu einer Ausweitung und Kostensenkung bei der Herstellung von grünem Wasserstoff führen, heißt es in dem Bericht. Mehr grüner Wasserstoff wird zu geringeren Emissionen in der Luftfahrt, der Schifffahrt und der Stahlproduktion führen. In Indien werden derartige Auflagen in Erwägung gezogen. Dort sollen bis 2024 fünf Prozent und bis 2028 20 Prozent grünes Ammoniak als Dünger eingesetzt werden.
Super-Kipppunkt 3: Proteine auf Pflanzenbasis
Der dritte Super-Kipppunkt trägt dazu bei, dass alternative Proteine die tierischen Proteine bei den Kosten übertreffen und ihnen geschmacklich ebenbürtig sind. Fleisch- und Milchprodukte verursachen etwa 15 Prozent der weltweiten Emissionen. Allerdings wird die sich daraus ergebende Klimachance bislang kaum vorangetrieben.
Der Bericht „The Breakthrough Effect“ behauptet, dass die öffentliche Beschaffung von pflanzlichen Fleisch- und Milchersatzprodukten durch Regierungsbehörden, Schulen und Krankenhäuser ein wirksames Mittel zur Veränderung sein könnte. Sie würde die Emissionen von Rindern reduzieren und die Zerstörung von Wäldern für Weideland verringern. Ein Marktanteil von 20 Prozent bis 2035 würde bedeuten, dass bis zu 800 Millionen Hektar Land nicht mehr für die Viehzucht und deren Futtermittel benötigt würden.
Das entspricht bis zu 15 Prozent der heutigen landwirtschaftlichen Nutzfläche der Welt. Dieses Land könnte dann für die Wiederherstellung von Wäldern und Wildtieren genutzt werden, was dazu beitragen würde, der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen.
Auch Tony Seba setzt auf Kaskaden-Effekte
Der Report „The Breakthrough Effect“ skizziert, wie einfach es letztlich sein könnte, die globalen Kohlenstoffemissionen durch gezielte Unterstützung einzelner Sektoren entscheidend zu senken. Auch Tony Seba setzt in einer Analyse von RethinkX auf sich selbst verstärkende Effekte, sogenannte Kaskaden-Effekte. In „Rethinking Climate Change“ beschreibt der Disruptions-Eexperte sogar, wie 90 Prozent der Emissionen eliminiert werden können.
„Wir müssen positive sozioökonomische Kipppunkte finden und auslösen, wenn wir das Risiko von schädlichen Klimakipppunkten begrenzen wollen“, sagt Professor Tim Lenton von der Universität Exeter. „Diese nichtlineare Denkweise über das Klimaproblem gibt plausible Gründe zur Hoffnung: Je mehr in den sozioökonomischen Wandel investiert wird, desto schneller wird er sich entfalten – und die Welt schneller zu Netto-Null-Treibhausgasemissionen führen.
„Der Durchbruch-Effekt“ bzw. „The Breakthrough Effect“ steht mit vielen, vielen Grafiken und Details zu konkreten Handlungsempfehlungen für Regierungen hier zum Download zur Verfügung.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.