Interview mit dem Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky im Vorfeld des 22. 2b AHEAD Zukunftskongresses in Leipzig.
Wir befinden uns mitten in der Dekade der Disruption – viele, viele neue Technologien zerstören regelrecht alte Märkte und Geschäftsmodelle. Diese Veränderungen zu kennen und einzuordnen, ist die Aufgabe eines Zukunftsforschers. Sven Gabor Janszky leitet das größte, wissenschaftliche Zukunftsforschungsinstitut Europas, 2b AHEAD, und beschäftigt sich damit, wie wir künftig mobil sind, was wir essen oder wie wir Energie erzeugen werden.
Um Zukunftsbilder für Unternehmen zu entwickeln, nutzt Janszky mit seinem Institut 2bahead wissenschaftliche Methoden – und führt insbesondere Tiefeninterviews mit Entscheidungsträgern aus der jeweils relevanten Branche. Zukunftsszenarien für die kommenden fünf bis zehn Jahre lassen sich so in Wahrscheinlichkeiten ausdrücken. Ende Mai lädt der Zukunftsforscher in Leipzig zum 22. Zukunftskongress in die Spinnerei nach Leipzig ein.
Sven Gabor Janszky, Ihr Werdegang vom Journalist zum Zukunftsforscher und begehrten Keynote-Speaker ist beeindruckend. Was treibt Sie an?
Ich wollte schon immer mit Menschen zu tun haben, die über die Zukunft entscheiden. Denn Zukunft ist nicht vorgegeben, sondern etwas, das wir prägen und gestalten können. Dafür bin ich Journalist geworden. Doch dann gab es einen Punkt, an dem es mir nicht mehr genügt hat, nur im Nachhinein mit diesen Menschen zu sprechen und darüber zu schreiben. So entstand die Idee, ein Zukunftsforschungsinstitut zu gründen.
Daraus ist 2b AHEAD entstanden. Was machen Sie dort genau?
Wichtig ist, dass wir weder in die Glaskugel noch in den Kaffeesatz schauen. Wir wenden wissenschaftliche Methoden an, für die es sogar Promotionsstudiengänge gibt. Letztlich analysieren unsere Forscher-Teams die Entwicklung von Branchen oder Geschäftsmodellen in fünf oder zehn Jahren. Durch Tiefeninterviews mit denen, die an Innovationen arbeiten, in entsprechende Technologien investieren, entstehen Zukunftsbilder. Und genau aus diesen lässt sich einerseits eine Ideal-Positionierung etwa für einen Mittelständler ableiten. Letztlich unterstützen wir dann auch, wiederum wissenschaftlich fundiert, bei der Strategie, um die Ideal-Positionierung zu erreichen.
Und genau das machen Sie nicht nur für Konzerne, oder?
Das ist so – unsere Mission ist es, diese Methoden so herunterzubrechen, dass sie nicht nur in der eigenen Zukunftsforschungs-Abteilung von Volkswagen angewendet werden können, sondern auch von Mittelständlern, die vielleicht nur 10 oder 100 Mitarbeiter haben. Der erste Schritt ist gewöhnlich das Lesen eines unserer Bücher oder E-Books. Im zweiten Schritt kommt es dann zur Teilnahme an einem unserer Events – und anschließend zu einem Coaching oder Mentoring-Programm.
Zukunftsforscher ist an 31 Unternehmen beteiligt
Mit 2b AHEAD haben sie auch einen Inkubator und so in 31 Unternehmen investiert…
Genau. Auf dem Zukunftskongress vor sieben oder acht Jahren gab es das Thema selbstfahrende Autos. Damals haben wir uns gefragt, was mit all den Bestandsfahrzeugen passiert, die nicht autonom fahren können. Es entstand zusammen mit einem Schweizer Mittelständler (AMAG) die Idee, einen Nachrüstbausatz für Gebrauchtwagen zu entwickeln. Also gründeten wir das Unternehmen Kopernikus Automotive. Daran waren u.a. zwei erfahrene Gründer aus unserem Beirat beteiligt.
Letztlich stellten wir fest, dass es unwahrscheinlich ist, in Europa eine Zulassung für das Nachrüstkit zu bekommen. Also wandelte sich das Geschäftsmodell: Heute rüstet Kopernikus Automotive Neufahrzeuge aus, damit die sogenannte Rüttelstrecke in Automobilwerken, die direkt nach der Produktion zurückgelegt werden muss, autonom zurücklegt werden kann. Allein das Wolfsburger VW-Werk hat dafür 1.400 Fahrer engagiert – das übernimmt jetzt die Technologie.
Unter dem Namen Automated Valet Parking organisiert das Unternehmen daneben die Technologie für Parkhäuser. Hierzu ist Continental bei Kopernikus eingestiegen.
Apropos Mobilität: Wird es 2030 autonomes Fahren geben?
Ja, klar – 2030 wird es Transport as a Service oder Robotaxis geben. Davon ist beispielsweise das in Schweden gegründete Unternehmen Lynk zutiefst überzeugt, das zum Geely-Konzern zählt. Wenn Sie einmal im Silicon Valley in einem Cafe gesessen haben, stellen Sie fest, dass dort alle 90 Sekunden ein Testfahrzeug von Amazon, Tesla oder Disney vorbeifährt. Da wird die Zukunft schon heute greifbar.
Was wird sich im Bereich Ernährung verändern?
Um zehn Milliarden Menschen ernähren zu können, können wir nicht weitermachen wie bisher, so viel ist klar. Wir sind beispielsweise der zweite Investor in Savor Eat gewesen. Das israelische Unternehmen, eine Ausgründung aus einer Universität, hat es innerhalb von 18 Monaten an die Börse gebracht. Es kultiviert Fleisch, das im 3D-Drucker ganz nach den Wünschen des Kunden zubereitet wird.
Sven Gabor Janszky: „Lasertechnologie macht Kernfusion möglich“
Elektroautos und Bioreaktoren oder 3D-Drucker brauchen reichlich Energie. Wie ändert sich unsere Energieversorgung?
Aus heutiger Sicht geht aus den Tiefeninterviews hervor, dass die Welt irgendwann zwischen 2040 und 2050 Kernfusionskraftwerke haben wird. Mit HB11 Energy aus Australien gibt es ein vielversprechendes Unternehmen, das die nicht-thermische Kernfusion mit Lasern kommerzialisiert.
Hinter der Idee der Wasserstoff-Bor-Fusion steckt ein deutsch-australischer Physiker. Entscheidend für die realistische Möglichkeit dieser Kernfusionstechnologie ist, dass sich die Lasertechnologie ähnlich schnell verbessert, wie es die Solarenergie in den vergangenen 20 Jahren getan hat.
Es ist für die Menschheit entscheidend, eine solche Technologie zu haben. Denn es gibt Länder, die anders als Deutschland oder die USA, zuerst andere Probleme bekämpfen müssen, bevor sie sich um das Klima kümmern können. Bis die etwa die Versorgung ihrer Bevölkerung mit Wasser oder Nahrung geschafft haben, ist womöglich 2040 – und dann braucht es schnelle Lösungen, um die Energieversorgung ohne fossile Energieträger zu organisieren.
Welche Rolle spielen im Ernährungs-Kontext gentechnisch veränderte Pflanzen?
Nun, es gibt schon heute ein Unternehmen wie Geneneer, das Pflanzen so programmieren kann, dass diese quasi auf „Knopfdruck“ ihre Poren schließen können. Dadurch können die Pflanzen Dürrephasen überstehen und davor und anschließend normal wachsen. Auch in diesem Bereich kommen viele spannende Entwicklungen.
Zukunftskongress in Leipzig Ende Mai
Was können wir sonst noch vom 2b AHEAD Zukunftskongress erwarten, der am 31. Mai und 1. Juni in Leipzig stattfindet?
Die Teilnehmer erhalten quasi kompakt innerhalb von zwei Tagen ein rundes Zukunftsbild des Jahres 2033, das aus heutiger Sicht die höchste Wahrscheinlichkeit hat. Nach 22 Jahren holen wir die Veranstaltung erstmals nach Leipzig – also quasi nach Hause, weil unser Institut hier ansässig ist. Ich freue mich total auf die beiden Tage: Obwohl ich mich jeden Tag mit Menschen unterhalte, die über unsere Zukunft entscheiden, erfahre auch ich ganz viel Neues. Mit dabei sind beispielsweise der Chief Medical Office von Microsoft oder der CTO von Lynk.
Sven Gabor Janszky, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Interview. Nach dem Zukunftskongress werden wir ausführlich berichten.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.