Mit virtuellen Kraftwerken in die Zukunft – Praxistest in der Regenerativen Modellregion Harz erfolgreich. Unsere Energieversorgungssysteme sind mitten im Umbruch. Dezentrale Strukturen und immer intelligentere Netze, die sich vorwiegend aus erneuerbaren Energien speisen, werden zunehmend Realität. Gefragt sind nicht nur technische Innovationen, sondern auch neue Vermarktungsstrategien für den grünen Strom. Damit ändern sich die Anforderungen an Kraftwerke und ihre Leitwarten. In der Regenerativen Modellregion Harz (RegModHarz) ist der Praxistest, an dem auch die enercast GmbH beteiligt ist, gut gelaufen.
„Wir haben im Landkreis Harz den technischen Beweis erbracht, dass ein regeneratives Kombikraftwerk mit erneuerbaren Energien und sein Leitstand im Alltag funktionieren und dass sich diese Technologie als Motor der Energiewende herauskristallisiert“, stellte der stellvertretende Leiter des Fraunhofer IWES, Dr. Kurt Rohrig, fest. „Unsere Feldversuche haben einmal mehr gezeigt, dass die Energiewende vor Ort umgesetzt werden muss“, betonte Rohrig. Was die Produktion und Verteilung angehe seien die erneuerbaren Energien schon weit ausgereift. „Jetzt müssen wir Wege finden, um sie unabhängig vom Erneuerbare-Energien-Gesetz in den Markt zu bringen.“
Energieerzeuger, Energiespeicher, Strom
Anders als herkömmliche, auf eine einzige Energiequelle zugeschnittene Kraftwerke ist das virtuelle Kraftwerk eine Softwareplattform, auf der unterschiedliche regenerative Energieerzeuger, Energiespeicher und Verbraucher miteinander vernetzt, überwacht und koordiniert werden. „Es ist de Dreh- und Angelpunkt für die dezentrale Energieversorgung von morgen“, beschreibt Projektleiter Florian Schlögl die Bedeutung dieses Kraftwerkskonzepts.
E-Energy-Initiative im Landkreis Harz
Im Landkreis Harz wurden im Rahmen der E-Energy-Initiative des Bundes in einem solchen Kraftwerk unter anderem Windparks, Photovoltaik-Anlagen sowie Biogasanlagen über das Internet zusammen geführt. Als simulierte Speicher wurden zudem ein Pumpspeicherkraftwerk und Elektrofahrzeuge dazu geschaltet. 43 Haushalte wurden mit intelligenten Zählern, Smart Metern, ausgestattet und in den Versuch einbezogen.
Das im Harz erprobte Kraftwerk ist in der Lage, Mess- und Zählerdaten in Echtzeit zu erfassen, anhand von Erzeugungs- und Lastprognosen Fahrpläne für die Energieversorgung automatisch zu erstellen und mit dem Strom an Energiemärkten wie EPEX SPOT zu handeln. „So können wir die für die erneuerbaren Energien typischen Schwankungen in der Erzeugung ausgleichen, Versorgungssicherheit schaffen und den Strom zeitnah und flexibel vermarkten“, sagt Schlögl.
Die Schaltstelle des virtuellen Kraftwerks ist die Leitwarte, ein Steuerungssystem mit grafischer Benutzeroberfläche, die den Backend-Server des Kraftwerks mit dem Bediener verbindet. Alle wichtigen Informationen wie die Leistung der Energieerzeuger, der Speicherstand, Wind- und Solarleistungsprognosen oder der aktuelle Stand an der Strombörse laufen hier zur Analyse und Weiterverarbeitung zusammen und werden auf vier Bildschirmen sichtbar gemacht. So zeigt die Vermarktungsansicht die verkauften Energiemengen und die Gebote der Strombörse, die Meldungen-Ansicht alle aktuellen und zurück liegenden Ereignisse im virtuellen Kraftwerk und die Topologie-Ansicht technische Daten und Fahrpläne.
Energieanlagenmanager und Poolkoordinator
Die Leitwarte übernimmt in der Energiewirtschaft zwei Rollen gleichzeitig: Als „Energieanlagenmanager“ verwaltet und überwacht sie die im virtuellen Kraftwerk zusammen geführten Anlagen. Als „Poolkoordinator“ vermarktet sie die erzeugten Energiemengen. Tauchen Fehler im Betrieb des im Regelbetrieb autonomen Kraftwerks auf oder werden besondere Interaktionen, zum Beispiel Optimierungen im Fahrplan oder die Bestätigung von Stromgeschäften, notwendig, gibt sie dem Bediener Orientierungs- und Entscheidungshilfen.
Die Entwicklung und Erprobung des virtuellen Kraftwerks und seiner Leitwarte waren das Kernstück des, durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geförderten, E-Energy-Projektes RegModHarz, das nach mehr als vierjähriger Laufzeit Ende 2012 abgeschlossen wird und dessen wissenschaftliche Ergebnisse auf dem diesjährigen Kasseler Symposium Energie-Systemtechnik vorgestellt und diskutiert werden. Nach Projektende wird die Leitwarte mit ihren unterschiedlichen Show-Cases weiter als Demonstrator zur Verfügung stehen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.