COP28: Mit Greenwashing das fossile Zeitalter verlängern

22 Staaten unterzeichnen „Triple Nuclear Energy“-Versprechen

Die Weltklimakonferenz COP28 hat einen Wendepunkt erreicht, der die Ziele des Pariser Übereinkommens endgültig unerreichbar machen wird. 22 Staaten unterschreiben überraschend ein „Triple Nuclear Energy„-Versprechen. Zwar haben sich 118 Länder bereits für die Verdreifachung der Erneuerbaren und die Verdopplung der Effizienz bis 2030 ausgesprochen, was von vielen Unternehmen und Verbänden unterstützt wird. Mit ihrem Vorpreschen für Kernenergie würden Unterzeichner wie USA, Frankreich oder Japan das fossile Zeitalter verlängern. Denn Atomkraft ist keine Lösung für das Klimaproblem.

Die Unterschiede könnten größer kaum sein: 118 Staaten haben sich im Rahmen der Klimakonferenz COP28 für die wichtigen Ziele, den Ausbau der Erneuerbaren und der Effizienz, ausgesprochen. Es geht etwa um die Verdreifachung der Erneuerbaren Energien bis 2030 (!) – auf mehr als zehn Terawatt. Doch 22 Atomstaaten wollen einer Abschlusserklärung, die dies enthält, nur zustimmen, wenn darin auch ein Versprechen für Kernenergie enthalten ist.

Im „Triple Nuclear Energy Pledge“ verpflichten sich die Atomstaaten, die Entwicklung und den Bau von Kernreaktoren zu unterstützen – und zählen mit Small Modular Reactors ausgerechnet die Technologie auf, die angesichts ausufernder Kosten nicht weniger als am Boden liegt. Erst am 10. November 2023 war eines der Vorzeigeprojekte von Nuscale endgültig gecancelt worden (Quelle).

Das Kernproblem der in Bau oder Planung befindlichen Nuklearprojekte ist deren Finanzierung. Daher wollen die Atomstaaten nun ihre Kräfte bündeln, um mit Verweis auf eine solche Erklärung und ein mögliches Abschlussdokument von COP28 etwa einfacher an Kredite der Weltbank heranzukommen. Dabei sind es oft die fossilen Konzerne, die auch Atomkraftwerke betreiben oder betreiben wollen – und die verdienen heute noch genug, um selbst zu investieren.

Triple Nuclear Energy Pledge zur Lösung des Klimaproblems?

Im Vergleich zu den Versprechen der Erneuerbaren-Befürworter wirkt das, was die Atomstaaten aufgesetzt haben, wie verzweifelt. Es scheint das letzte Aufbäumen einer Branche zu sein, die in keine Chance gegen die immer günstiger werdenden erneuerbaren Energien hat. Die Unterzeichner des Triple Nuclear Energy Pledge beziehen sich bei der Verdreifachung der Nuklearkapazitäten nicht etwa auf das Jahr 2030 wie die Erneuerbaren-Unterzeichner, sondern auf 2050.

Die Welt braucht aber, will sie das Klimaproblem lösen, CO2-Freiheit zwischen 2040 und 2045. Allein deshalb ist das Versprechen der Atomländer vollkommen unzureichend. Heute macht Atomkraft neun Prozent des globalen Stromverbrauchs aus. Bis 2050 ist laut Internationaler Energie-Agentur von einem Mehrbedarf von 75 Prozent auszugehen. Würde die Atomkraft-Kapazität verdreifacht, wäre das maximal ein Anteil von 15 Prozent am gesamten Stromverbrauch.

Viel dramatischer wird es, beleuchtet man, dass kein AKW-Projekt der vergangenen Jahre zeitlich plangemäß abgeschlossen werden konnte. Im Gegenteil: Die Zahl der aufgegebenen Planungen ist weit höher als die der tatsächlich ans Netz gebrachten Projekte. Gerade einmal sechs neue Nuklearreaktoren kamen 2022 ans Netz – die Stromerzeugung aus Kernkraft sinkt tendenziell.

Die New York Times zitiert in ihrem Bericht über das „Triple Nuclear Energy“-Versprechen den Forscher David Tong (Oil Change International“, der zum Ausdruck bringt, das Versprechen der Atomstaaten sei „von der Realität abgekoppelt.“ Die Technologie sei zu teuer und zu langsam. „Es ist ein eigennütziges politisches Versprechen, das nicht die Rolle widerspiegelt, die die Kernenergie bei der Energiewende spielen wird, die unbedeutend ist.“

Der US-amerikanische Regierungsvertreter John Kerry begründet seine Unterstützung hingegen mit einer Studie der atomfreundlichen Internationalen Energie-Agentur, wonach Kernenergie für das Erreichen von CO2-Neutralität „entscheidend“ sei. Zur Frage der Finanzierung sagte John Kerry, es stünden „Billionen von Dollar“ zur Verfügung, die für Investitionen in die Kernenergie verwendet werden könnten. „Wir wollen niemandem weismachen, dass die Kernenergie die Alternative zu allen anderen Energiequellen sein wird – nein, das ist nicht der Grund, warum wir hier sind“, sagte er. Aber er fügte hinzu, dass die Wissenschaft gezeigt habe, dass man ohne Kernenergie nicht bis zum Jahr 2050 kommen könne.

Aus Sicht von Simone Peter vom Bundesverband Erneuerbare Energien ist die Aussage von John Kerry „falsch.“ „Atomkraft war und ist von Anfang bis Ende Politik und Ideologie. Denn sie ist, anders als Erneuerbare, in die global am stärksten investiert wird, ein Subventionsgrab. Man kann und muss Klimaneutralität bis spätestens 2045 durch Erneuerbare erreichen. Sagt die Wissenschaft“, so die ehemalige Grünen-Politikerin bei Twitter / X.

Deutsche Sicht: Atomausstieg ein historischer Fehler?

Trotz des Atomausstieg 2023 behaupten deutsche Politiker ohne Rot zu werden, die Ampel-Koalition hätte die deutschen Atomkraftwerke weiterlaufen lassen sollen. So behauptet etwa Armin Laschet, ehemaliger Kanzlerkandidat der CDU: „Dass aber Deutschland derzeit auf Kohle statt auf Kernenergie setzt, ist ein historischer Fehler. Deutsche Alleingänge sind immer falsch.“ Aber ist das wirklich so?

  • Erstens gab es unzählige Hürden, die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen – etwa geschlossene Verträge zum Rückbau, der abgebaute Personalstock oder ausgesetzte Sicherheitsprüfungen.
  • Zweitens ist die Aussage vom „deutschen Alleingang“ schwer nachvollziehbar, wenn lediglich 22 Staaten das Triple Nuclear Energy Pledge unterschreiben wollen.
  • Und drittens: Die Stromerzeugung aus Kohle geht bereits zurück, weil der Ausbau der Erneuerbaren Energien endlich entfesselt wurde. 2023 wird Deutschland maximal 120 Terawattstunden aus Steinkohle und Braunkohle benötigen – deutlich weniger als in den Vorjahren 2021 (146 TWh) und 2022 (161 TWh) – und das im Jahr des Atomausstiegs.

Politiker von Union, FDP und AfD sehen in ihren desinformierenden Aussagen zur Kernenergie weiterhin einen Wahlkampfschlager für die kommenden Bundestagswahlen. Doch die tatsächlich Entwicklung der Energieversorgung national wie international lässt kaum Zweifel zu: Es geht nur und ausschließlich über den Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Wenn Staaten sich für eine Kombination mit Atomkraft entscheiden, dann müssen sie auch die ökonomischen wie technischen Risiken tragen – andere Länder quasi in Geiselhaft für überbordende Atomträume zu nehmen, ist vollkommen unpassend.

Atomstaaten betreiben Greenwashing

Die Analyse zeigt: Nuclear Triple Energy Pledge ist reines Greenwashing, das bei der Lösung des Klimaproblems nicht helfen wird. Es ist kaum zu glauben, würden etwa die USA mit einer solchen Initiative wirklich die Einigkeit beim Thema Erneuerbare Energien und Effizienz riskieren.

Eigentlich sah es so aus, als würde die Qualität und die Relevanz einer Abschlusserklärung von COP28 insbesondere daran zu erkennen sein, wie die Staaten mit der umstrittenen Frage des Carbon Capture and Storage (CCS) umgehen. Die fossile Industrie will CCS in breitem Rahmen zulassen – obwohl zahlreiche Projekte in der Vergangenheit nicht erfolgreich waren.

Deutschland möchte CCS eingeschränkt zulassen und ist damit voll auf Linie von Ländern wie Dänemark, die die Technologie unter der Nordsee anwenden wollen. „Wir glauben, dass CCS unbedingt ein Teil der Lösung sein muss“, sagt Dänemarks Klimaminister Dan Jørgensen. Man könne ein Fan von Erneuerbaren sein und trotzdem auf CO₂-Speicherung setzen. „Aber nicht im Energiesektor, wo wir etwa Kohle durch erneuerbare Energien ersetzen können, sondern dort, wo es besonders schwierig ist, CO₂ einzusparen, etwa in der Industrie. Es darf also keine unbeschränkte Vollmacht für CCS geben.“

Atomträume würden fossiles Zeitalter verlängern

Für die sozial-ökologische Transformation, die weltweit im Gang ist, braucht die Staatengemeinschaft mehrere Billionen Dollar – pro Jahr. Es wäre töricht, dieses Kapital in Atomprojekte zu investieren, deren Gelingen reichlich Fragezeichen setzt. Länder wie Deutschland, die den Ausstieg aus der Kernenergie erfolgreich gemeistert haben, werden sich angesichts günstiger erneuerbarer Energien nicht für eine Rückkehr zur Atomkraft entscheiden.

Setzen sich die Befürworter des „Triple Nuclear Energy“-Versprechens durch und bringen diese Aussagen in ein Abschlussdokument von COP28, werden diese Atomträume die sozial-ökologische Transformation gefährden. Letztlich wäre die Konsequenz eines Freifahrtscheins für CCS und Atomkraft die Verlängerung des fossilen Zeitalters – und damit die Verschlimmerung der Klimakrise. Die noch mächtigen Fossil-Konzerne würden der Welt weiterhin den Stinkefinger zeigen: Zukunft egal, kurzfristige Gewinne maßgeblich.

Die 122 Staaten, die die Erneuerbaren-Ziele unterstützen, dürfen nicht zulassen, dass eine Minderheit alle Anstrengungen für die Erreichung zumindest des 2-Grad-Ziels gefährden. Denn die Welt halt einen Solar-Kipppunkt erreicht und ist mit dem Ausbau von Erneuerbaren, Elektromobilität, Effizienz und Wärmepumpen auf einem insgesamt deutlich positiveren Weg als noch vor einigen Jahren.

COP28 darf nicht zum fossilen Festival werden. Und durch das unrealistische Triple Nuclear Energy-Versprechen auch nicht zum atomaren Greenwashing-Festival.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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