Urteil zum Klimaschutzgesetz: BVerfG zwingt Politik zum Nachbessern bis Ende 2022

Nach Urteil zum Klimaschutzgesetz: gegenseitige Schuldzuweisen zwischen Altmaier, Heil, Scholz und Schulze via Twitter.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Ende 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt, und damit einer Beschwerde u.a. von Aktivistin Luisa Neubauer und Energieprofessor Volker Quaschning entsprochen. Dem Urteil zum Klimaschutzgesetz zufolge schränkt es die Freiheit der Menschen ein, dass das Gesetz keine konkreten Maßnahmen definiert, mit der die Klimaschutzziele zwischen 2031 und 2050 realisiert werden sollen. Letztlich hat das Gericht damit Klimaschutz als Grundrecht gestärkt – und den Freiheitsbegriff neu definiert.

Das Gericht verlangt von der Politik, entsprechende Nachbesserungen am Gesetz vorzunehmen – und gibt dafür bis Ende 2022 Zeit. Bedeutet konkret: Sollte sich die Große Koalition nicht zusammenraufen, und noch vor der Wahl entsprechende Entscheidungen treffen, würde der Auftrag des Gerichts zu einem wichtigen Bestandteil von Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl werden.

Das Urteil zum Klimaschutzgesetz ist aus Sicht von Juristen ein Sensationserfolg für die Kläger um Luisa Neubauer von Fridays for Future. Denn zum ersten Mal, so berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung, habe das Gericht den Gesetzgeber dazu verpflichtet, beim Klimaschutz rechtzeitig Vorsorge zu treffen – und das ausdrücklich auch für die aus politischer Sicht recht ferne Zeit nach 2030. „Die Freiheit und Grundrechte von morgen dürfen nicht durch unsere Emissionen heute verheizt werden – es gibt die Verpflichtung, diesen Schutz durch ein wissenschaftsbasiertes Klimaschutzgesetz zu gewährleisten“, kommentierte der politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals.

Urteil zum Klimaschutzgesetz: Beschwerden von privat zulässig

Die Organisation hatte die Beschwerde unterstützt. Das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Klimaschutzgesetz mahnte auch an, dass lediglich Beschwerden von natürlichen Personen zulässig seien – deshalb traten u.a. Luisa Neubauer als Beschwerdeführer auf. Hier lesen Sie mehr zum Klimawandel.

Das Gericht urteilte konkret, die Vorschriften verschöben hohe Emissionsminderungslasten auf Zeiträume nach 2030. Den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie vorgesehen auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, schrieb das Gericht in seiner Begründung des Klimaschutzgesetz Urteils.

„Das Urteil ist ein Durchbruch“, so Professor Felix Ekardt und die Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Franziska Heß, die die Klage vertreten haben. „Erstmals hat eine Umweltklage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die Politik wird massiv nachbessern und deutlich ambitioniertere Ziele und Instrumente festsetzen müssen. Unsere Klage hat aufgezeigt, dass grundrechtlich Nullemissionen dramatisch früher nötig sind als bisher anvisiert und das Paris-Ziel grundrechtlich verbindlich ist. Zwar hat die Politik demokratische Entscheidungsspielräume.

Diese erlauben es verfassungsrechtlich jedoch nicht, die physischen Grundlagen menschlicher Existenz aufs Spiel zu setzen und damit auch die Demokratie zu untergraben. Genau das droht jedoch, wenn die Klimapolitik weiter so wenig ambitioniert bleibt. Für das Klima ist das Urteil allerdings trotz aller Freude noch zu wenig, weil nicht mit der gebotenen Klarheit zeitnahe Nullemissionen eingefordert werden. Ob wir zusätzlich eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen, werden wir prüfen.“

Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen aus Hamburg kommentierte die Entscheidung: „Das Bundesverfassungsgericht hat heute einen global beachtlichen neuen Maßstab für Klimaschutz als Menschenrecht gesetzt.“ Der Gesetzgeber habe jetzt einen Auftrag für die Festlegung eines schlüssigen Reduktionspfads bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität. Abwarten und verschieben von radikalen Emissionsreduktionen auf später sei nicht verfassungskonform. Verheyen: „Klimaschutz muss heute sicherstellen, dass zukünftige Generationen noch Raum haben.”

Klimaschutz ist nicht nice-to-have – gerechter Klimaschutz ist Grundrecht, das ist jetzt offiziell. Ein Riesen Erfolg – für alle und besonders für uns junge Menschen, die seit über zwei Jahren für ihre Zukunft klimastreiken. Wir werden nun weiter kämpfen, für eine generationengerechte 1,5 Grad Politik.

Luisa Neubauer von Fridays for Future, Beschwerdeführerin

Neubauer, Schulze, Scholz und Altmaier reagieren auf das Urteil

ZDF-Journalist Florian Neuhann stellt in einem Thread klar, dass die Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht nun eingefordert hat, in Entwürfen zum Gesetz enthalten waren, aber auf Bestrebungen von Kanzleramt, Unions-Fraktion und Wirtschaftsministerium gestrichen wurden:

Demut, ein in Teilen verfassungswidriges Gesetz verabschiedet zu haben, und diese Peinlichkeit möglichst rasch zu beseitigen, herrscht nicht ansatzweise. Stattdessen gibt es Schuldzuweisungen und – ähnlich wie in diesem Artikel zu der Anpassung der Klimaziele beschrieben – wird vor der Wahl im September womöglich nichts mehr passieren. Es geht nicht mehr um echte Aktivität, sondern ausschließlich um Deutungshoheit und einen potenziellen Vorteil im Wahlkampf.

Immerhin: Bundesumweltministerin Svenja Schulze bezeichnete das Urteil als Ausrufezeichen für den Klimaschutz und stellte infolge des Urteils ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz „im Sommer“ in Aussicht. Das Urteil bestätige den Mechanismus, der jährlich sinkende Klimaziele für alle Sektoren vorsieht“, schrieb die Politikerin bei Twitter.

Das Urteil zum Bundes-Klimaschutzgesetz des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe reiht sich ein in eine Reihe von Urteilen der letzten Jahre, die Klimaschutz die notwendige Bedeutung zugemessen haben. So wurde etwa Frankreich gezwungen, mehr Maßnahmen zu ergreifen. Das zeigt, dass die Gericht – offenbar im Gegensatz zum großen Teil der Politik – den Ernst der Lage erkannt haben. Es ist beinahe verrückt, dass die Richter näher an überwältigend vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen dran sind, als operativ tätige Politiker.

Ein Radio-Interview zur Bedeutung des Urteils für die Energiewende hat Prof. Claudia Kemfert im Deutschlandfunk gegeben.

Hintergrund: Beschwerden zum Klimaschutzgesetz

Das Klagebündnis von SFV, BUND und vielen Einzelklägern hatte im November 2018 Verfassungsbeschwerde wegen der völlig unzureichenden deutschen Klimapolitik erhoben, weil diese die Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Existenzminimum und Eigentum verletzt. Unter den Einzelklägern sind Prominente wie der Schauspieler Hannes Jaenicke, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Josef Göppel (CSU) und der Energieexperte Professor Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Das BVerfG hat heute zugleich ähnliche Klagen Jugendlicher und Erwachsener aus dem In- und Ausland mit entschieden, die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sowie von Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet seit Anfang 2020 erhoben und unterstützt wurden.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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