Microliner für Hamburg-Sylt: Vaeridion setzt auf elektrifizierten Motorsegler
Münchener Cleantech-Startup setzt auf starke Partnerschaften.
Das Cleantech-Startup Vaeridion GmbH aus München elektrifiziert einen Motorsegler, um die grüne Transformation der Luftfahrt mit einem elektrischen Kleinflugzeug zu revolutionieren. Dabei setzen die Gründer, anders als Volocopter, Lilium, Vallair oder Autoflight, auf klassisch über eine Landebahn startende Flugzeuge. Vor 2030 soll das Microliner genannte E-Flugzeug (eCTOL) durchstarten. Damit das gelingt, kooperieren die Gründer Dr. Sebastian Seemann und Ivor van Dartel mit Customcells, Cylib und Saluqi Motors.
Kürzlich berichtete NDR Panorama darüber, wie viele Privatflugzeuge in den Ferienmonaten allein von Hamburg nach Sylt fliegen – wer auf der Insel zu einer Party eingeladen ist, kommt – wie einst Friedrich Merz zur Hochzeit von Christian Lindner – mit dem Flugzeug. Der Klimawandel wird dabei häufig ausgeblendet – Kurzstreckenflüge sind besonders klimaschädlich: Laut einer Studie von Transport & Environment sind Privatjets 5- bis 14-mal umweltschädlicher als kommerzielle Flugzeuge (pro Passagier) und sogar 50-mal umweltschädlicher als Züge.
Eine Chance, gerade solche Strecken wie Hamburg-Sylt weit weniger klimaschädlich abzudecken, bietet die Technologie von Vaeridion. Das Cleantech-Startup aus München setzt dabei darauf, dass der als Basis dienende Motorsegler besonders einfach zu elektrifizieren ist. Die Batteriepacks sollen direkt in die Flügel integriert werden – der gesamte Neunsitzer ist auf Effizienz und wenig Gewicht getrimmt. Ziel ist eine Reichweite von 500 Kilometern, was mit Gepäck leichter zu erreichen ist, als mit Passagieren an Bord.
Besonders für kleine Städte und Regionen, die bislang vor allem nur über Flugzeuge oder noch kaum erreichbar sind, ist der Microliner aus München eine Chance. Besonders Skandinavien bietet hierfür einen Markt – denn die Regierungen haben sich sehr klare und ambitionierte Ziele gesetzt, um die Revolution beim Fliegen Realität werden zu lassen. Für die Kurzstrecke bis 400 Kilometer wird immer klarer: Batterien sind hierfür geeignet. Längere Strecken übernehmen etwa wasserstoff-elektrische Antriebe.
„Wir wollen die regionale Luftmobilität elektrifizieren“, sagt Ivor van Dartel, Co-Gründer des Jung-Unternehmens. Bis 2050 sieht er ein Potenzial für das Microliner genannte Elektroflugzeug von 5.000 bis 10.000 Stück. Das würde bis zu acht Gigawattstunden an zylindrische Zellen pro Jahr für die Serienproduktion und den Ersatz im Betrieb erfordern. Der Microliner soll das energieeffizienteste Flugzeug in seiner Klasse werden.
Microliner mit Batterien von Customcells
Der Microliner soll eines Tages sogar Platz für 19 Passagiere plus Crew bieten – ab 20 bis 30 Sitzen stößt die Elektromobilität dann an die heute sichtbaren physikalischen Grenzen, sagen Forscher. Customcells-Manager Dr. Dirk Abendroth betont indes, heutige Batterien mit bis zu 350 Wattstunden pro Kilogramm automatisiert herstellen zu können. Das reiche den Angaben des Batterie-Unternehmens zufolge für neun Personen an Bord plus Gepäck und einer jederzeit erreichbaren Reichweite von 400 Kilometern.
Cleantech-Startups gehen derzeit eine Wette darauf ein, dass sich die Energiedichte der Batterien weiter verbessert – 400 oder 450 Wattstunden pro Kilogramm sind am Horizont sichtbar, aber noch nicht serienreif produzierbar. Vaeridion indes hat noch eine Weile Zeit: Durch Zertifizierungsprozesse ist erst ab 2028 mit den ersten Elektroflugzeugen der Münchener im kommerziellen Einsatz zu rechnen. eVTOL-Startups wollen früher startklar sein, peilen aber zumeist noch kürzere Strecken etwa vom Flughafen in die Innenstadt an.
Antriebstechnologie von Saluqi
Saluqi Motors, der Partner von Vaeridion für die elektrischen Antriebstechnologie des Microliners, entstand 2016 mit dem Ziel, bessere, kompaktere und leichtere Elektromotoren und Leistungselektronik zu entwickeln. Nach eigener Aussage baut Saluqi Motoren mit integrierter Leistungselektronik unter Verwendung modernster magnetischer Materialien, leistungsstarker Leistungshalbleiter und neuer Kühlarchitekturen.
Bei bestehenden Konstruktionen, die durch die Parallelisierung vieler Komponenten mit geringerer Leistung mehr Leistung erzeugen, gibt es Ineffizienzen in Bezug auf die Fehlanpassung zwischen den Komponenten, was zu einem Verlust an Gesamtleistung und an Zuverlässigkeit führt. Saluqi Motors hat diese Probleme mit einem einfachen, zuverlässigen und effizienten Design gelöst.
Die Parallelisierungstechniken von Saluqi Motors nutzen die gesamte Leistung, für die die Komponenten ausgelegt sind, und erhöhen gleichzeitig die Leistungsdichte, den Wirkungsgrad und die Zuverlässigkeit, anstatt sie zu verringern.
Kreislaufwirtschaft mit Cylib
eCTOL-Flugzeuge wie der Microliner werden während ihrer Lebensdauer eine große Menge an Lithium-Ionen-Batterien benötigen. Da das Cleantech-Startup von Beginn an eine nachhaltige und zirkuläre Produktstrategie verfolgt, ist die Zusammenarbeit mit dem Aachener Cleantech-Startup Cylib nur logisch.
Ziel ist es, die Kreislaufwirtschaft der Batterien zu etablieren: Nach etwa einjähriger Nutzung im Flugzeug erhalten diese ein zweites Leben in stationären Batteriespeichern. Ist auch dieses „Second Life“ vorbei, kommt die Recyclingtechnologie von Cylib ins Spiel. 90 Prozent der Rohstoffe sollen dann wiederverwertet werden.
Konkurrenten: Eviation und Heart Aerospace
Konkurrenten sind beispielsweise Eviation oder Heart Aerospace. Der Markt wird umkämpft sein – schon jetzt werden etwa von Eviation Flugzeuge beispielsweise an DHL verkauft.
Aber für alle Wettbewerber stellt sich vor allem eine entscheidende Frage: Was wird sich im Markt durchsetzen? Eher der Ausbau der Zugverbindungen auf Strecken wie Hamburg-Sylt oder das „Selberfliegen“ mit Flugzeugen mit Verbrennungsmotor, die klimafreundliche Kraftstoffe tanken? Oder gewinnt die Serviceleistung regionaler Fluggesellschaften, wie sie teilweise derzeit entstehen?
Für Herbert Mangesius, Partner bei Vsquared, einem der Investoren in Vaeridion, können die Auswirkungen eines solch kurzfristig verfügbaren und bald skalierbaren Mobilitätsdienstes kaum überschätzt werden. Neben Vsquared Ventures haben der Frühphaseninvestor Project A und Andreas Kupke einige Millionen in das Cleantech-Startup Vaeridion investiert.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.