Cleantech-Unternehmen aus Skandinavien sammelt 55 Millionen Euro für europaweite Expansion ein.
Das norwegisch-schwedische Cleantech-Unternehmen Tibber, das seit einigen Monaten auch in Deutschland aktiv ist, will den europäischen Energiesektor für Haushaltskunden kräftig durcheinander wirbeln. Die Dominanz der alteingesessenen Dinosaurier soll mit automatisierten, leicht skalierbaren Systemen, variablen Stromtarifen und dem Fokus auf erneuerbare Energien gelingen. Jetzt hat Tibber 55 Millionen Euro frisches Kapital in einer Finanzierungsrunde erhalten.
„Die Dinosaurier haben im Grunde nie Kunden gewonnen, sondern sie über Jahrzehnte geerbt“, sagt Vårdal Aksnes von Tibber im Interview mit stiftet.eu. Das Cleantech-Unternehmen will den langweilig gewordenen Stromsektor aufmischen, und hat sich dafür 55 Millionen Euro frisches Kapital gesichert. Mit dabei: Der Founders Fund von Peter Thiel, Mitgünder von Paypal und heutiger Investor etwa von Linkedin oder Facebook.
Die Zutaten des Tibber-Geschäftsmodells sind leicht erklärt: Die Skandinavier haben einen Bot entwickelt, der jederzeit nach den niedrigsten Strompreisen sucht und Echtzeitanalysen des Energieverbrauchs liefert. Das ermöglicht den Tibber-Kunden prinzipiell, immer den aktuellen niedrigsten Preis für erneuerbare Energie zu bezahlen.
Die Finanzierungsrunde gliedert sich in eine Eigenkapital-Runde sowie einen privaten Fremdkapitalanteil von 35 Millionen Dollar. Dieses Arbeitskapital der Bank Nordea setzt Tibber ein, um erneuerbaren Strom in Vorleistung einzukaufen. An der Venture Capital-Finanzierungsrunde beteiligten sich Eight Roads Ventures, Balderton Capital, Founders Fund und Petter Stordalen (Hotel-Unternehmer aus Norwegen).
Mit dem Geschäftsmodell hat Tibber bereits in Skandinavien und Deutschland mehr als 100.000 Stromkunden gewonnen. Erst im Juni starteten die Gründer, der Norweger Edgeir Vårdal Aksnes und der Schwede, Daniel Lindén, hierzulande. Heute ist das Unternehmen bei der Kundenanzahl auf dem selben Niveau wie in Schweden und Norwegen – aber dort brauchte Tibber zwei Jahre Überzeugungsarbeit. Das ging in Deutschland wesentlich schneller.
Smart-Meter-Tarif: Preiswechsel im Stundentakt
Ein in Deutschland recht frisches Angebot von Tibber ist der Smart-Meter-Tarif. Voraussetzung dafür ist der Einbau eines intelligenten Messsystems (Smart Meter) durch den Netzbetreiber oder einen wettbewerblichen Messstellenbetreiber wie Discovergy. Existiert dieser Smart Meter, rechnet Tibber stundenbasiert ab. Dazu wird von Tibber ein Empfänger installiert, der die Daten verarbeitet.
Dabei erhält der Endkunde über die App Einblick, wann die Börsenpreise niedrig und hoch sind – so erhalten sie eine Anregung, ihr Elektroauto beispielsweise dann aufzuladen, wenn besonders viel erneuerbare Energie im Netz ist. Denn dann sind die Börsenstrompreise niedrig, können sogar ins Negative fallen.
Hierin liegt auch die Intelligenz des Angebots von Tibber: Über die App soll das „Smart Charging“ des Elektroautos ganz einfach möglich sein. Dazu wird lediglich die gewünschte Abfahrtszeit eingegeben – den Rest übernimmt die Technologie von Tibber. Ähnlich funktioniert das Zusammenspiel mit der Wärmepumpe. Durch stündlich flexible Preise lässt sich der Heizprozess optimieren. Steigt der Strompreis, reguliert sich die Heizung herunter.
Tibber-Stromtarif auch ohne Smart Meter möglich
Neben dem Smart-Meter-Tarif hat Tibber auch einen Basistarif, der ohne zusätzliche Technik auskommt. Hier wird der Strompreis monatlich auf Basis des tatsächlichen Strom-Einkaufspreises abgerechnet. Der Tarif setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen (Beispiel 5.000 kWh, 04158 Leipzig):
- Durchschnittl. Börsenpreis für Strom: 3,98 Cent pro kWh
- Steuern & Abgaben 20,65 Cent pro kWh
- zzgl. Grundpreis Netz und Messtellenbetrieb 7,81 Euro pro Monat + Tibber-Gebühr 3,89 Euro pro Monat
Während Tibber also lediglich eine monatliche Pauschalgebühr nimmt, bietet das Cleantech-Unternehmen über seinen Shop zusätzliche Geräte an, die dem Endkunden helfen sollen, Strom zu sparen. Schon heute macht dieses Geschäft 30 bis 40 Prozent aus, sagt Vårdal Aksnes.
Verfügbar sind dort Geräte, die beispielsweise Nibe-Wärmepumpen intelligent steuerbar machen, Wallboxen wie die Charge von Easee (übrigens KfW-förderfähig), die darauf ausgerichtet ist, Überschüsse vom eigenen PV-Dach zum Laden von Elektroautos zu verwenden oder intelligente Thermostate etwa von tado oder anderen Anbietern.
Hier geht es um den Kern von Tibber, d.h. nicht nur um den Kauf grüner Energie zu niedrigen Preisen, sondern auch um die Verbindung zwischen Ihrem Elektroauto, Ihrer Solaranlage und Ihren Heizungssystemen.
Edgeir Vårdal Aksnes, CEO von Tibber
Tibber hat sich zum Ziel gesetzt, den Stromverbrauch der europäischen Haushalte um 20% zu senken – eine Mission, die für die alten Dinosaurier im Energiemarkt undenkbar wäre. Mit Tibber, aWATTar, Climeon und vielen anderen Cleantech-Unternehmen, kommt aber neuer Schwung in den Sektor – und die Digitalisierung und Flexibilisierung der Energiewende mit der Versorgung erneuerbarer Energien geht in kleinen Schritten voran.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.