Überraschendes VDE Positionspapier zu steckerfertigen Mini-Energieerzeugungsanlagen will europäische Vereinheitlichung und würde die Energiewende voranbringen.
Diese Wendung ist eine faustdicke Überraschung. Der VDE, der bislang die Verwendung von Stecker-Solargeräten bzw. Balkonkraftwerken blockiert hat, hat nun ein Positionspapier zur Vereinfachung veröffentlicht. In den letzten Wochen hatte Cleanthinking berichtet, dass der VDE dem Schuko-Stecker nicht mehr völlig negativ gegenübersteht, und, dass der Chef der Bundesnetzagentur genau diesen Schuko-Stecker für ausreichend hält. Nun liegt das VDE Positionspapier Stecker-Solargeräte vor, in dem Experten den Schuko-Stecker für Mini-Energieerzeugungsanlagen bis zur Bagatellgrenze von 800 Watt dulden. Bislang widerspricht das Positionspapier aber der Produktnorm.
Stecker-Solargeräte und der VDE – eine Geschichte, die seit zehn Jahren jede Menge Zündstoff birgt. Die mögliche Vereinfachung bei Installation und Betrieb solcher Stecker-Solargeräte für Balkon oder Fassade, wie sie im VDE Positionspapier Stecker-Solargeräte beschrieben ist, kommt zu einer Zeit hoher Preise bei Neukundenverträgen für Strom – und bietet gerade Mietern die beste Chance, ebenfalls an der Energiewende zu partizipieren. Vorteile und Nachteile der Balkonkraftwerke sind hier beschrieben.
Klar ist: Das, was der VDE nun offiziell als Positionspapier Stecker-Solargeräte herausgegeben hat, steht nicht im Einklang mit dem Entwurf der Produktnorm, die der Verband gerade öffentlich diskutiert. Der Entwurf der Produktnorm kann hier eingesehen werden. Eine Anmeldung ist nötig. Die Norm ist dann unter DIN VDE V 0126-95 (VDE V 0126-95): 2022-11 einsehbar.
Umso größer ist die Wendung, die der VDE offenbar mit dem Positionspapier einleitet. Darin heißt es, Mini-Energieerzeugungsanlagen (Mini-EAA) können dazu beitragen, dass Verbraucher ihre Stromkosten reduzieren und einen Beitrag zur Energiewende leisten. „Wir wollen mit den Vorschlägen zur Vereinfachung dazu beitragen, dass sich die Verwendung von Mini-Energieerzeugungsanlagen in der Zukunft flächendeckend durchsetzen kann, ohne dabei Abstriche bei der Sicherheit zu machen“, erklärt VDE-Chef Ansgar Hinz.
Fünf zentrale Bausteine zur Vereinfachung
- Die Bagatellgrenze wird von 600 auf 800 Watt angehoben – diese Grenze wurde mit der Regulation for Generators bereits europäisch eingeführt. Jetzt schlägt der VDE im Positionspapier Stecker-Solargeräte vor, diese Bagatellgrenze auch für Deutschland zu übernehmen. Anlagen bis zu dieser Grenze gelten damit aus Sicht der Netzbetreiber nicht mehr als netzrelevant. Die Vornorm für Steckersolargeräte (VDE 0126-95) soll entsprechend angepasst werden und insbesondere Herstellern ermöglichen, steckerfertige Solargeräte als Gesamtsystem zu entwickeln und zu vertreiben. Bislang ist es häufig eine Zusammenstellung von Einzelkomponenten.
- Bis zur Bagatellgrenze von 800 Watt dürfen Mini-Energieerzeugungsanlagen an jedem Zählertypen verwendet werden. Sogar das Rückwärtslaufen wird erlaubt (Net Metering). Das Warten auf den Smart Meter-Rollout entfällt.
- Anmeldung und Inbetriebsetzung sollen erleichtert, bürokratische Hürden auf ein Minimum reduziert werden. Bei der Bundesnetzagentur kann man Mini-Energieerzeugungsanlagen zukünftig nur noch an- oder abmelden oder Änderungen an der Anlage melden.
- Der Schuko-Stecker wird als Steckvorrichtung für die Einspeisung bis 800 Watt „geduldet“. Grundsätzlich bevorzugt der VDE aber die Installation durch das Fachhandwerk, da nur so die Möglichkeit besteht, die Installation auf Tauglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen.
- Final fordert der VDE von den Herstellern von steckerfertigen Mini-Energieerzeugungsanlagen, dass sie mögliche Risiken bei deren Verwendung transparent aufzeigen. Dies betrifft unter anderem die Beschreibung der sicheren Montage und Inbetriebnahme. Auch soll der Hersteller dazu verpflichtet werden, die elektrische Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten. Der VDE empfiehlt die Prüfung von Mini-Energieerzeugungsanlagen durch ein unabhängiges Prüfinstitut, damit der Kunde zu Hause ein sicheres Gerät in Betrieb nehmen kann.
Das VDE Positionspapier Stecker-Solargeräte (Steckerfertige Mini-Energieerzeugungsanlagen) steht hier zum Download zur Verfügung.
Einschätzung Martin Jendrischik, Cleanthinking.de:
Die große Frage ist nun: Was gilt? Der Entwurf der Produktnorm oder das Ziel des Positionspapiers, das Thema Balkonkraftwerke endlich massiv von Bürokratie und Hemmnissen zu befreien? Da sich der VDE-Chef selbst zum VDE Positionspapier Stecker-Solargeräte geäußert hat, ist davon auszugehen, dass das, was dort zu Vereinfachung von Installation und Betrieb enthalten ist, auch wirklich umgesetzt wird.
Wird es umgesetzt, ist es ein großer Wurf, der die Energiewende voranbringen wird. Zusammen mit dem Neustart bei der Digitalisierung der Energiewende und weiteren Maßnahmen aus dem Bundeswirtschaftsministerium entsteht schrittweise ein Energiemarkt, der die Bürger wieder für ihr Engagement belohnt. Genau dieser Weg ist richtig. Hilfreich wäre noch – Berlin hat beispielsweise gerade ein Förderprogramm in der Mache – wenn es zu bundeseinheitlicher Förderung von Balkonkraftwerken kommen würde.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.