Verkehrswende in Europa: Wissing fährt ohne Tempolimit ins politische Abseits

Der Bundesverkehrsminister torpediert mit Veto-Drohung gegen Verbrenner-Verbot und Lobbyismus für synthetische Kraftstoffe die europäische Verkehrswende.

Die Verkehrswende in Europa ist auf einem guten Weg: Erst kürzlich beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten das Verbrenner-Verbot ab 2035 und erteilten den synthetischen Kraftstoffen im PKW eine klare Absage. Doch kurz vor der formal finalen Entscheidung zur europäischen Verkehrswende am 7. März droht Bundesverkehrsminister Volker Wissing urplötzlich mit einem Veto gegen das Verbrenner-Aus, wenn die EU-Kommission E-Fuels nicht auch für Neufahrzeuge zulässt. Mit diesem Verhalten bringt Wissing Verbündete in Berlin und Brüssel gegen sich auf – und erzeugt ein verheerendes Medienecho.

Volker Wissing fährt gerade mit Vollstrom ohne Tempolimit ins politische Abseits. Die FDP ist seit verheerenden Niederlagen bei Landtagswahlen im Panikmodus – und klammert sich krampfhaft an Technologien von gestern wie etwa den Verbrennungsmotor. Dabei ist der Verbrenner im PKW auf der Agenda der europäischen Autoindustrie längst zum Auslaufmodell geworden – die letzten Modelle dürften aus heutiger Sicht deutlich früher verkauft werden als zum Stichtag des Verbrenner-Verbots ab 2035.

Der Bundesverkehrsminister, der mehr ein Bundesautominister ist und damit sich, seiner Partei und dem Land einen Bärendienst erweist, droht also wenige Tage vor der finalen Abstimmung mit einem Veto, weil die EU-Kommission seiner Ansicht nach einen Plan vorlegen müsse, wie E-Fuels auch nach 2035 für Neufahrzeuge einsetzbar sein sollen. Zum Hintergrund: Am 7. März muss der Rat der Mitgliedsstaaten dem Trilog-Verhandlungsergebnis, das bereits vom EU-Parlament bestätigt wurde, zustimmen. So soll ein entscheidender Schritt für die Verkehrswende in Europa realisiert werden.

Da es sich um einen eigentlich formalen Akt handelt, übernehmen das diesmal nicht die Umweltminister, sondern die Bildungsminister – und Bettina Stark-Watzinger ist die Parteifreundin von Volker Wissing. Ob sie sich über die Einigung von Koalition und EU auf allen Ebenen und nach monatelangen Verhandlungen hinweg setzt?

Wissing torpediert europäische Verkehrswende

Aber mit dieser Veto-Drohung gegen die europäische Verkehrswende in Europa bringt Wissing nicht nur die Grünen als Koalitionspartner gegen sich auf, sondern löst auch irritierte Reaktionen bei der EU-Kommission aus. Denn es ist alles Anderes als üblich, dass ein Landesminister eine bereits getroffene und akzeptierte Entscheidung derart in Frage stellt. Um das Verbrenner-Verbot am kommenden Dienstag zu stoppen, müsste Wissing also gegen das sich enthaltende Deutschland eine Koalition bilden.

Die Drohung des Verkehrsministers zur europäischen Verkehrswende ist erkennbar reine Symbolpolitik. Genauso wie die heutige Entscheidung der Bundesregierung, wonach bestimmte E-Fuels über Tankstellen verkauft werden dürfen – bislang war nur eine Beimischung von bis zu 26 Prozent erlaubt. Doch diese Änderung der Rahmenbedingungen für synthetische Kraftstoffe, die in ihrer Reinform aus Kohlendioxid, Ökostrom und Wasser hergestellt werden, ändert nichts an den gewaltigen Nachteilen dieser alternativen Kraftstoffe.

Porsche Verbrennungsmotor: Verkehrswende in Europa steht auf dem Spiel.

Zuletzt hatte sogar Porsche eingeräumt, dass die von Porsche und Siemens Energy in Chile hergestellten synthetischen Kraftstoffe nur dann marktfähig werden können, wenn es dafür massive Subventionen gibt. Derzeit ist eher mit einem Preis von etwa 4 bis 5 Euro pro Liter E-Fuel zu rechnen – und zwar ohne staatliche Abgaben. Wollte die FDP die bislang nur in homöopathischen Dosen existierenden Kraftstoffe wirklich in den Markt zwängen, wären Milliarden-Subventionen die Folge.

Mit seinem Vorgehen schadet Wissing nicht nur der europäischen Verkehrswende, sondern letztlich auch sich selbst. Denn neben den glasklaren Reaktionen der Koalitionspartner und der EU ist auch das Medienecho für das späte und marktschreierische Eingreifen des Ministers absolut verheerend. Einige Beispiele im Überblick:

  • „Verbrenner sind nicht zu retten: Synthetische Kraftstoffe leisten keinen nennenswerten Beitrag zur Erfüllung der Klimaziele. Die Zukunft gehört eindeutig der E-Mobilität.“ (Die Rheinpfalz)
  • „Für viele ist das Auto nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch Liebhaberobjekt. Dennoch: dass ausgerechnet Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Lebensdauer des Verbrenners verlängern will, macht ratlos.“ (Stuttgarter Nachrichten)
  • „Mit Vollgas in die Sackgasse“, kommentierte etwa der Auto Club Europa (ACE).
  • Sebastian Bock, Deutschland-Geschäftsführer der Umweltorganisation Transport & Environment forderte, Kanzler Scholz müsse „Wissings gefährlichen Alleingängen endlich ein Ende setzen“.
  • Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sprach vom „nächsten FDP-Irrlicht“. „Erst engagiert die FDP Klimaskeptiker, um gegen die Tempolimit-Studie des Umweltbundesamts zu schießen , nun spielt sie munter weiter Frontalopposition“, sagte deren verkehrspolitischer Sprecher Michael Müller-Görnert. „Minister Wissing reitet ein totes Pferd. Er sollte sich endlich darum kümmern, die Klimaemissionen des Verkehrs zu senken, statt jeden Tag eine neue Idee zu präsentieren, die genau das verhindert.“
  • Die EU will, dass ab 2035 neue Autos keine Treibhausgase mehr ausstoßen dürfen, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber möchte, dass E-Fuels erlaubt sein sollen. Dieses „künstliche“ Benzin wird nicht aus Erdöl produziert, sondern indem Wasserstoff (H2) mit „gebrauchtem“ Kohlenstoffdioxid synthetisiert wird. Im Idealfall wird also das gesamte CO2, das aus dem Auspuff kommt, irgendwo anders der Luft entzogen und in einer Art Kreislauf neu verarbeitet. Klingt toll, damit wäre der Treibstoff klimaneutral. Die Umweltbilanz stimmt aber nur dann, wenn der Wasserstoff mit grüner Energie produziert wird. Das ist jedoch gar nicht vorgeschrieben und darum ist das E-Fuel eine klimaschädliche Mogelpackung. (Straubinger Tagblatt)
  • Sie verfolgen eine Klientelpolitik, besessen von technischer Innovation und stets die Freiheit der Einzelnen betonend. Das ist ein radikaler Ansatz, der auf die regulierenden Kräfte des Marktes setzt – und es ist ein ausgelatschter neoliberaler Pfad, der insbesondere bei den drängenden Fragen des Klimaschutzes nicht hilfreich ist. (nd.Der Tag)
  • „Aus Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust setzt die FDP auf Symbolpolitik.“ – „Ein Fetisch namens E-Fuels“ (DIE ZEIT)
  • E-Fuels sind keine saubere Alternative für Autos, das ist wissenschaftlich belegt. Denn Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis zueinander. E-Autos mögen in der Produktion zwar (noch) umweltschädlicher sein als mit E-Fuels betankte Verbrenner, allerdings sind sie im gesamten Lebenszyklus weitaus umweltfreundlicher. Das liegt hauptsächlich daran, dass E-Autos deutlich weniger Strom verbrauchen als bei der reinen Erzeugung von E-Fuels und letztlich auch im Verbrauch. Und solange sauberer Strom noch eine Mangelware ist, sollte er zielführend eingesetzt werden, bis die Kapazitäten aufgestockt werden können. Das werden auch Volker Wissing und die Liberalen einsehen müssen – ob sie wollen oder nicht. (OM Online)
  • Selbst die CDU kritisiert Wissing: „Wissings Veto-Drohung soll nur davon ablenken, dass die FDP beim Verbrennerverbot von ihren Ampelpartnern über den Tisch gezogen wurde: Schon mit dem Ampel-Koalitionsvertrag hat die FDP das Verbot nämlich de facto mit beschlossen“, sagt CDU-Politiker Gieseke

Wieso E-Fuels keine Chance im Markt haben

Die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe ist mit gigantischem Aufwand verbunden. Es braucht viel mehr Strom als für das Laden von Elektroautos. Grüner Wasserstoff wird in dieser Dekade nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein rares Gut bleiben. Es ist im Angesicht der europäischen Verkehrswende töricht, überhaupt auf die Idee zu kommen, den Wasserstoff in Form von ineffizienten synthetischen Kraftstoffen in einem Verbrennungsmotor zu bringen, während es mit dem E-Auto eine jeden Tag besser werdende Alternative gibt.

Stattdessen werden Wasserstoff oder E-Fuels für die Schiff- und Luftfahrt benötigt, vielleicht auch für LKW.

Die Zulassung von E-Fuels für den PKW wird, das machte der Verband Uniti bereits deutlich, nicht zwangsläufig zu Investitionen in entsprechende Anlagen führen. Klar ist: Ohne Subventionen geht gar nichts. Und dass Volker Wissing nach seinem Rundumschlag noch die Kraft haben wird, Milliarden-Beträge als Subvention für eine Technologie durchzudrücken, die eine Technologie von gestern (Verbrennungsmotor) am Leben erhalten soll, ist ausgeschlossen.

Mit dem panischen Verhalten und der fatalen Fehlentscheidung zur europäischen Verkehrswende festigt die FDP lediglich ihren Ruf als Klientelpartei, die lediglich einigen Porsche-Fahrern ermöglichen will, auch nach 2035 noch mit dem Verbrenner durch die Gegend zu fahren. Letztlich fährt Wissing so ohne Tempolimit ins politische Abseits. Nicht ausgeschlossen, dass seine Zeit als Verkehrsminister schon sehr bald enden wird. Er sollte schleunigst auf die Bremse treten und endlich seinen Job erledigen anstatt Lobbyismus für einzelne Gruppierungen zu betreiben.

Schließlich läuft auch eine Klage gegen sein Ministerium wegen Nicht-Einhaltung der Klimaziele. Und die nächste Bestandsaufnahme in Sachen Emissionen steht im März kurz bevor.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.