Vertical Farming: Wie Startups Landwirtschaft und Supermärkte verändern
Cleantech-Startups wie InFarm bringen die Lebensmittel-Produktion dorthin, wo die Menschen leben und konsumieren.
InFarm ist ein Cleantech-Startup, das beispielhaft für den Trend zum Vertical Farming steht. Da immer mehr Menschen ernährt werden müssen, und diese immer häufiger in urbanen Gebieten angesiedelt sind, macht die vertikale Landwirtschaft einen wichtigen Schritt: Sie bringt die Lebensmittelproduktion dorthin, wo die Menschen leben und konsumieren. Das Berliner Cleantech-Unternehmen hat es mit seinen Indoor-Gewächshäusern mittlerweile u.a. zu Aldi, Kaufland und Edeka gebracht.
Im Vergleich zu anderen, vertikalen landwirtschaftlichen Betrieben, die etwa Getreide in riesigen Lagern stapeln, bietet InFarm kleinste, sehr modulare Einheiten, die immer häufiger in Supermarktgängen und Restaurants Platz finden. Erst vor wenigen Tagen gab Kaufland eine Partnerschaft mit InFarm bekannt. Zuvor in diesem Jahr schon Aldi.
InFarm ist es durch die Supermärkte gelungen, ihre kleinen Farmen für Kräuter und Salate in mehrere Hundert Supermärkte in mehreren Regionen der Welt zu bringen. So etwa zu Marks and Spencer nach Großbritannien oder Kroger in die USA oder in mehreren europäischen Ländern bei Metro und Migros.
Die Kooperation mit Infarm ist eine großartige Möglichkeit, Frische, Qualität und Ressourcenschonung miteinander zu kombinieren.
Stefan Lukes, Geschäftsführer Einkauf Obst und Gemüse bei Kaufland.
Die groß die Dynamik ist, zeigt die Geschwindigkeit, mit der Kaufland die Partnerschaft vorantreibt. Diese wurde Ende Juli verkündet, seit kurzem wird erstmals Petersilie, griechischer Basilikum, Minze und Bergkoriander in der Filiale in Neckarsulm gezüchtet. Zweimal pro Woche wird seit Mitte August geerntet – die Kunden können den Pflanzen beim Wachsen zusehen, da sich das Infarm-Gewächshaus direkt in der Obst- und Gemüseabteilung befindet.
Bis Oktober soll weitere Standorte hinzukommen und die Belieferung von mehr als 200 Filialen aus regional aufgebauten Infarm Growing Centern folgen. Bei Aldi Süd wachsen bis Jahresende die Pflanzen direkt in 17 Filialen – auch hier werden 300 mit frischen Kräutern aus der jeweiligen Region beliefert.
Trend zu Vertical Farming ist unverkennbar
Der Trend zur vertikalen Landwirtschaft ist unverkennbar – dabei muss die innovative Technologie beweisen, dass die Ressourcen tatsächlich schont, die Zahl weggeworfener Lebensmittel reduziert und im Hinblick auf die Energie- und CO2-Bilanz einer modernen Landwirtschaft auf dem Feld außerhalb der Stadt überlegen ist.
Klar ist: Eine Lebensmittel-Produktion, die möglichst nah bei den Menschen stattfindet, kann bedarfsgerechter, frischer sein und somit Transporte und Wegwerfen reduzieren. Die Indoor-Gewächshäuser benötigen allerdings durchaus Pflege einerseits und etwa durch künstliches Licht mehr Energie als feldbasierte Landwirtschaft.
Kaufland führt als Vorteile des Vertical Farming in der Filiale selbst 90 Prozent kürzere Transportwege, Anbau ohne Erde, 95 Prozent geringerer Wasserverbrauch und 75 Prozent weniger Dünger auf. Zum Energieverbrauch macht die Supermarktkette hingegen keine Angaben.
Definition: Vertical Farming
Vertical Farming bzw. auf Deutsch die sogenannte vertikale Landwirtschaft bezeichnet eine Spezialform der urbanen Landwirtschaft. Als „vertical“ oder „vertikal“ wird die saubere Zukunftstechnologie deshalb bezeichnet, weil in urbanen Zentren die Massenproduktion pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse in mehrstöckigen Gebäuden, also Farmen übereinander, angestrebt wird.
Beim sogenannten Indoor Farming hingegen spielt die Mehrstöckigkeit keine entscheidende Rolle: Der Begriff definiert vielmehr landwirtschaftliche Erzeugung, die direkt vor Ort etwa in Supermärkten, Restaurants oder Zuhause in Haus oder Wohnung stattfindet.
Ein Vorteil der Hydrokulturfarmen von InFarm und anderen Startups ist mit Sicherheit, dass keine Pestizide benötigt werden, dass der Flächenverbrauch geringer ist, und dass sie in Supermärkten dort aufgestellt werden, wo ohnehin eine gute Stromanbindung vorhanden ist. Dazu verfügen viele Supermärkte mittlerweile über mit Photovoltaik überdachte Parkplätze oder entsprechende Dachanlagen.
Infarm wurde 2013 von Isnat Michaeli sowie Erez und Guy Galonska gegründet. Es konkurriert mit einer Vielzahl von Indoor-Farming-Unternehmen wie beispielsweise Plenty, Bowery Farming oder AeroFarms. Erst kürzlich hat das namentlich sehr ähnliche Vertical Farming-Startup iFarm eine Finanzierungsrunde abgeschlossen.
Das Geschäft mit dem „Farming as a Service“ macht sich auch wirtschaftlich für die Gründer bezahlt: Sie stellen die Gewächshaus-Schränke gegen eine Gebühr in Supermärkte und Restaurants. So ist das Cleantech-Unternehmen schon für mehr als 200.000 Pflanzen pro Monat in Dänemark, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, den USA sowie der Schweiz verantwortlich.
Die Probleme der Skalierung, die so teilweise perversen Zuständen in der Fleischindustrie und der Landwirtschaft geführt hat, kann Infarm problemlos durch regionale Teams überwinden.
Frisches Kapital für Cleantech-Startup Infarm
Ende Juli 2020 hat Infarm bereits die dritte Finanzierungsrunde von offenbar 178 Millionen Euro abgeschlossen. Zu den Investoren gehören einige der besonders namhaften Finanzierer der Welt. So beispielsweise LGT Lightstone, Venture-Arm des Fürstenhauses von Liechtenstein, Der auf Impact Investments spezialisierte Investor hat auch in das Cleantech-Startup Lilium Aviation investiert. Weitere Investoren sind u.a. Atomico, Mons Investments, Frili AB und VC Hanaco Growth aus Israel.
Für Investoren sind die Mini-Gewächshäuser attraktiv, weil sie gerade in Corona-Zeiten den Sprung in eine neue Welt mit kürzeren Transportwegen und einfacheren Lieferketten weist. „Es ist ein coronasicheres Geschäft“, zitiert die Financial Times ungenannte Infarm-Investoren.
Gemeinsam mit dem Trend zu Ersatzprodukten für Fleisch, Eier, Milch oder sogar Meerestiere durchzieht eine heftige Disruption die Bereiche Landwirtschaft und Einzelhandel. Während Landwirte in einigen Regionen Deutschlands unter der Dürre zu leiden haben, weil die Böden vollkommen ausgetrocknet sind und auch Mikroorganismen verschwinden, ist die vertikale Landwirtschaft letztlich vorwiegend von sauberer Energieversorgung und der Möglichkeit zu Transporten abhängig.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.