Cleantech-Unternehmen Volocopter aus Bruchsal arbeitet an der Zulassung seiner VTOL-Flugtaxis – wie dem VoloCity.
Das Bruchsaler Cleantech-Unternehmen Volocopter ist einer der weltweiten Pioniere im Bereich Urban Air Mobility. Denn das 2011 von Stephan Wolf und Alexander Zosel gegründete Firna entwickelt elektrische Senkrechtstarter (VTOL) für den Personen- und Warentransport. Gelingt die Zulassung der ersten Generation der Flugtaxis rechtzeitig, soll der kommerzielle Betrieb pünktlich zu den Olympischen Spielen in Paris beginnen. Damit wäre das Luftfahrtunternehmen aus Baden-Württemberg definitiv an der Weltspitze – und ein Börsengang nur noch eine Frage der Zeit.
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Obwohl Volocopter ein deutsches Unternehmen ist, hat es international für viel Aufsehen gesorgt. Der Wettbewerb im Bereich der Urban Air Mobility ist intensiv, da Cleantech-Startups wie Joby Aviation, Archer Aviation oder Lilium um die Gunst von Investoren, Städten sowie zukünftigen Passagieren und Piloten wetteifern. Für 2024 hat das Cleantech-Unternehmen die ersten kommerziellen Flüge in Paris und Rom angekündigt – Testflüge gab es bereits in New York City oder Tokio.
Politik und Gesellschaft haben hohe Erwartungen: Die Flugtaxis der Luftfahrtunternehmen, die senkrecht starten und landen, sind umweltfreundlich, wenn sie mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Sie sind schnell und leise, was insbesondere im städtischen Bereich einen großen Vorteil gegenüber Hubschraubern oder Kleinflugzeugen darstellt. 2019 untersuchten Studierende rund um den Erstflug die Akzeptanz solcher Flugtaxis.
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Aber die Preisfrage im wahrsten Sinne des Wortes lautet: Wie schnell werden die Batterietechnologien so gut, dass Strecken und Fluggewicht größer sein können als heute? Und: Wie lassen sich damit die Preise für einen Flug mit dem VoloCity etwa aus der Innenstadt von Paris zum Flughafen gestalten? An der Frage, ob Flugtaxis nur eine Luxusvariante des Taxis für Privilegierte sind oder doch für jedermann erschwinglich werden, scheiden sich die Geister. Aber genau das ist die Gretchenfrage dafür, ob sich das Geschäftsmodell und anderen Anbietern jemals rechnen wird.
Was ist der VoloCity und wie funktioniert er?
Herzstück des Technologie- und Luftfahrtunternehmens ist das VTOL-Flugtaxi VoloCity, das in den kommenden Jahren zum ersten kommerziellen Einsatz führen soll. Dabei gilt DG Flugzeugbau als der enge Partner des Bruchsaler Unternehmens. Das Luftfahrtunternehmen DG Aviation nutzt die vorhandene EASA-Lizenz sowie die des Luftfahrtbundesamtes, um VoloCity und andere Fluggeräte aus Bruchsal zügig durch die Zertifizierung zu bringen.
Mit seinen zahlreichen technischen Innovationen im Design und der Funktionalität erweist sich der VoloCity als vielversprechende Lösung für die Mobilität in urbanen Gebieten. Der VoloCity zeichnet sich durch seine 18 Rotoren aus, wodurch Redundanz und gesteigerte Stabilität während des Flugs gewährleistet werden. Zusätzlich verfügt das Fahrzeug über fortschrittliche Flugkontrollsysteme und Sensoren, die eine sichere und präzise Navigation ermöglichen.
Zusätzlich zu diesen Eigenschaften erfüllt der VoloCity die strengen Lärm- und Umweltvorschriften der Städte, da er emissionsarm ist und leise fliegt. Sein Antrieb erfolgt elektrisch, wodurch der Einsatz von fossilen Brennstoffen vermieden und die Umweltauswirkungen reduziert werden.
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Feuertaufe bei Olympia 2024 in Paris
Seine aufregende Feuertaufe wird Volocopter sowie im Hinblick auf Technik und Zuverlässigkeit, aber auch im Hinblick auf mögliche Preisgestaltung im Sommer 2024 in Paris erleben. Dort einigten sich die Luftfahrt-Manager mit den Verantwortlichen in Frankreichs Hauptstadt sowie den Gastgebern der Olympiade 2024 auf einen ersten kommerziellen Einsatz des VoloCity. Dafür befinden sich fünf Stationen im Pariser Stadtgebiet für das vollelektrische Flugobjekt im Bau.
Laut Medienberichten ist die Voraussetzung für den kommerziellen Start des Volocity rund um Olympia aber die Typenzulassung des Fluggerätes durch die EASA. Mittlerweile, im März 2024, gilt es als unwahrscheinlich, dass das Unternehmen aus Bruchsal wirklich bis Juli die vollständige Zulassung erhalten wird. Sollte dieser Schritt nicht gelingen, stünde mit den etwas später stattfindenden Paralympics eine andere Alternative zur Verfügung. Gegenüber der FAZ verkündete Volocopter im März 2024: „Wir fliegen auf jeden Fall in Paris“ – die Frage ist also nur noch, ob rechtzeitig zu den aufmerksamkeitssichernden Spielen oder nicht.
Wie sehr das gesamte Unternehmen auf die Olympischen Spiele hinarbeitet, zeigt die Countdown-Uhr, die sich in der Kantine des mittlerweile mehr als 600 Mitarbeiter zählenden Unternehmens. Bis zur Olympia in Paris sind es nur noch wenige Monate – bis zum Juli 2024 müssen noch jede Menge Meilensteine aus dem Weg geräumt werden.
Mitte Mai 2024 wurde bekannt, dass Volocopter weiterhin eine Finanzierungslücke von 100 Millionen Euro hat, um den kommerziellen Betrieb aufnehmen zu können. Entsprechende Bürgschaften verweigerte das Bundesland Bayern.
Es ist sozusagen der olympische Wettbewerb vor den eigentlichen Spielen, der besonders zählt.
Zum Start während der Olympischen Spiele wird der VoloCity – im Idealfall – lediglich den Piloten und einen Passagier transportieren können. Dazu entstehen insgesamt fünf Veriports – also die Plätze zum Starten und Landen. Die Distanz wird pro Flug nicht mehr als 20 Kilometer betragen. Die Zahlen zeigen, wie klein das Thema Flugtaxi erst starten wird. Bis damit relevante Größenordnungen erreicht werden, um sogar Staus auf der Straße zu verhindern wird es noch dauern.
Aus Sicht von Volocopter CEO Dirk Hoke wird die Dienstleistung eine bleiben, die für gut zahlende Kunden da ist. Wichtig aus Betreibersicht ist es, jeweils Städte zu besetzen. „Es werden in Zukunft keine Hunderte von Airtaxen in einer Stadt herumfliegen“, sagte Hoke dem Handelsblatt. „Deshalb ist es so wichtig, der Erste in einer Stadt zu sein.“ Dabei würden Flugtaxen andere Verkehrsmittel eher ergänzen, nicht ersetzen.
Doch von den ersten Flügen in Paris müssen noch Piloten ausgebildet und Genehmigungen einholt werden. Der Countdown für die Feuertaufe bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris läuft.
Übernahme von DG Flugzeugbau – ebenfalls Bruchsal
Im Rahmen einer Akquisition wird Volocopter das Produktionssegment von DG Flugzeugbau übernehmen. Die hochspezialisierten Fertigungsexperten werden mit den Produktions- und Werkstattteams zusammengeführt. Bestehende Segelflugzeugproduktionsverträge werden unter dem neuen Eigentümer weiterhin bedient.
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Zusammen mit DG Flugzeugbau entwarf und baute das Cleantech-Unternehmen bereits den VC200, den ersten elektrisch angetriebenen Multikopter, der eine vorläufige Verkehrszulassung erhielt, 2017 autonom in Dubai und dann auf der CES 2018 in Las Vegas flog. Seitdem haben die beiden Unternehmen auch bei der Entwicklung des 2X, der VoloDrone und dem VoloCity kooperiert.
Der verbleibende Teil der ehemaligen DG Flugzeugbau wird in die neu gegründete DG Aviation ausgegliedert und als Instandhaltungsbetrieb weiterhin Flugzeuge der Marke DG und LS entwickeln und warten. Praktisch: Die Produktionsstätte der künftigen DG Aviation ist ebenfalls in Bruchsal bei Karlsruhe, also unweit vom eigentlichen Headquarter entfernt. Dort ist im April 2023 die Serienproduktion des eVTOL gestartet worden.
Bruchsaler kooperieren mit ADAC Luftrettung
Volocopter setzt mit seine Technologie nicht nur auf den klassischen Personentransport, sondern will auch als Logistikdienstleister erfolgreich sein. Hier sind viele Jobs etwa im Bereich der Offshore-Windkraft oder allgemein der Industrie vorstellbar. Relativ konkret ist die Zusammenarbeit mit ADAC Luftrettung – mehr dazu gibt es in diesem gesonderten Beitrag. Die Erprobung der ADAC Luftrettung mit dem eVTOL wird der erste Einsatzzweck für die Jets in Deutschland sein, kündigte das Unternehmen im Mai 2024 an. Voraussetzung ist, dass die Zertifizierung vorliegt.
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Flugtaxen sind kapitalintensiv: Kommt der Börsengang von Volocopter?
Ob es zum Börsengang kommen wird, und man somit bald die Volocopter Aktie kaufen kann, ist derzeit nicht absehbar. Klar ist: Bis zu den Olympischen Spielen braucht das Cleantech-Unternehmen weitere 150 Millionen Euro frisches Kapital – bislang sind etwa 600 Millionen Euro nach Bruchsal geflossen. Diese Summe aufzubringen, erscheint angesichts der hochkarätigen Investoren, die sich bislang dem Luftfahrtunternehmen aus Bruchsal angeschlossen haben, möglich zu sein.
Allerdings sieht sich das Unternehmen mit einem schwierigen Investitionsumfeld konfrontiert, weshalb das Bundesverkehrsministerium und die Bayerische Staatsregierung einspringen könnten. Über das mögliche Engagement von Wissing und Söder bei gleichzeitig skeptischer Haltung von Kretschmann gibt es hier mehr Informationen.
Spannend in Richtung Aktie, Anteilsscheine und Börsengang dürfte es dann werden, wenn die Welt in Frankreich sieht: Die Technologie funktioniert und kann skaliert werden. Dazu müsste Urban Air Mobility in mehreren Großstädten weltweit eingesetzt werden. Interesse ist da, etwa aus der saudi-arabischen Retortenstadt NEOM City oder amerikanischen Städten und sogar Berlin.
So richtig geklappt hat die Demonstration der Fluggefährte von Volocopoter in Paris letztlich nicht. Daher ist auch nicht rasch damit zu rechnen, dass es zum Volocopter Börsengang und somit zur Volocopter Aktie kommen wir.
Welche Relevanz haben solche Lufttaxi-Dienste für die Verkehrswende?
VTOL-Flugtaxis können in Städten wie Singapur, Paris oder Madrid und im Sinne einer intermodalen Verkehrswende durchaus eine Berechtigung erlangen. Da sie in der Regel vollelektrisch angetrieben sind wie die Multikopter vom Flugtaxi-Startup, kann es ein umweltfreundliches Fortbewegungsmittel sein. Allerdings reduziert sich die Sinnhaftigkeit, wenn ein Luftfahrtunternehmen lediglich einen Service für einen Piloten mitsamt eines Passagiers anbietet.
Aber an irgendeiner Stelle muss begonnen und ausprobiert werden. Grundsätzlich sind Städte im Hinblick auf die Mobilitätsangebote im Umbruch – so wie manche Regionen Seilbahnen einsetzen, können München oder Bangkok und andere Städte eventuell vom Einsatz solcher Flugtaxen profitieren. Ob es allerdings einen Markt für 200 Anbieter geben wird, die sich aktuell in diesem Segment tummeln, darf sehr bezweifelt werden. Denn dafür müssen Reichweiten, Preise und kommerzielle Angebote einen gewaltigen Durchbruch schaffen. Der ist momentan noch nicht absehbar.
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Dieser Beitrag über das Lufttaxi-Startup als möglichem Puzzle-Teil der grünen Transformation wurden zuletzt am 13. Mai 2024 überarbeitet und aktualisiert.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.