Bis 2032 entsteht das Wasserstoffnetz mit einer Länge von 9.700 Kilometern, um die Industrie klimaneutral zu machen.
In Deutschland entsteht in den kommenden zehn Jahren ein Wasserstoff-Kernnetz, das die Versorgung speziell der Industrie mit dem klimaneutralen Gas sicherstellen soll. Die „Jahrhundertchance“ kostet etwa 20 Milliarden Euro und wird privatwirtschaftlich über den Zusammenschluss der überregionalen Gastransportunternehmen (FNB Gas) finanziert. Die H2-Autobahnen der Energiewende basieren zu 60 Prozent auf schon existierenden Erdgas-Leitungen, die umgebaut werden. Das Wasserstoffnetz dient als vernetzendes Element zwischen Import, Herstellung und Abnahme von grünem Wasserstoff.
Es ist eines der wichtigsten Großinfrastruktur-Projekte, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in seiner ersten Amtszeit bis 2025 auf den Weg bringen will. Das sogenannte Wasserstoff-Kernnetz löst den Knoten rund um die Infrastruktur für das klimaneutrale Gas. 9.700 Kilometer Netzleitungen sorgen dafür, dass die wichtigen Zentren direkt angeschlossen sind, und Mittelstädte wie Chemnitz ebenfalls eine Chance haben, sich mit kleineren Leitungen zu engagieren.
Um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu unterstützen, muss bereits 2025 der erste Wasserstoff über die neuen Gasautobahnen durch Deutschland fließen. Im ersten Schritt werden die europäischen IPCEI-Projekte angebunden. Bis in das 1. Quartal 2024 hinein soll der finale Entwurf des Wasserstoffnetzes erarbeitet werden – Konsultationen mit weiteren Stakeholdern können noch zu Änderungen herbeiführen.
Den Weg für H2-Netz frei gemacht hatte das Bundeskabinett der Ampel-Koalition im Mai diesen Jahres. Seitdem wurden die unterschiedlichen Anforderungen in die jetzt vorgestellten Pläne umgesetzt.
Dabei gilt das Wasserstoff-Kernnetz in den jetzigen Dimensionen als klares Investment in die Zukunft. Bis 2030 ist laut Habeck eine Ausspeisungskapazität von 270 Terawattstunden verfügbar – gebraucht werden bis dahin aber lediglich 95 bis 130 Terawattstunden.
Wasserstoff-Kernnetz für mehr Energieunabhängigkeit
Deutschland setzt stark auf Wasserstoff, um beispielsweise die energieintensive Stahlindustrie gezielt dekarbonisieren zu können – und somit zukunftsfähig zu machen. Ein weiterer Grund neben der Versorgung der Industrie ist die Versorgungssicherheit: Neben Kavernenspeichern, die auf Wasserstoff umgerüstet werden, sollen auch zusätzliche Wasserstoffspeicher entstehen. So wie die Erdgasspeicher heute, soll deren Inhalt genutzt werden, wenn erneuerbare Energieträger nicht ausreichend sind.
Darüber hinaus ist das Wasserstoff-Kernnetz der Bundesregierung auch ein Großprojekt, um Energieunabhängigkeit zu sichern. Derzeit laufen zwar Verhandlungen mit elf Staaten, um Wasserstoff per Schiff (als Ammoniak) oder per Pipeline zu importieren (u.a. Dänemark, Niederlande, Frankreich, Spanien, Belgien, Portugal…) – der klare Plan ist es aber, langfristig 30 bis 50 Prozent des Wasserstoffbedarfs im Inland herzustellen.
Bis 2030 ist eine Elektrolysekapazität von 10 Gigawatt vorgesehen – gerade erst hat Siemens Energy seine Serienfertigung für Elektrolyseure in Berlin eröffnet.
Die Energieunabhängigkeit steigt also trotzdem deutlich, weil die bisherigen Energieträger Kohle, Öl und Steinkohle zu 100 Prozent importiert werden mussten.
Um das Wasserstoff-Kernnetz zu entwickeln, werden bestehende Erdgasleitungen in großem Umfang für die Verwendung von Wasserstoff umgerüstet. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass das verbleibende Fernleitungsnetz weiterhin den voraussichtlichen Erdgasbedarf decken kann. Daher sind erdgasverstärkende Maßnahmen an einigen Stellen erforderlich. Der aktuelle Antragsentwurf sieht vor, dass für ungefähr 5.000 Kilometer umgestellter Leitungen der Fernleitungsnetzbetreiber an bestimmten Stellen sehr kurze erdgasverstärkende Neubauleitungen notwendig sind. Diese Neubauleitungen sind meistens nur wenige Kilometer lang, manchmal sogar weniger als ein Kilometer (insgesamt etwa 600 km).
Die, die ab 2025 Wasserstoff aus den Leitungen beziehen wollen, werden – ähnlich wie beim Strom – Netzentgelte bezahlen müssen – bzw. damit werden die Fernleitungsbetreiber ihre Investitionen wieder hereinholen. Da es aber zunächst relativ wenige Abnehmer geben wird, will der Staat über die nächsten 20 Jahre in Vorleistung gehen, um die Nutzung bezahlbar zu halten und den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu fördern.
Einbindung der H2-Autobahnen in Europa
Die Einbindung des Kernnetzes in ein europäisches Wasserstoffnetz, wie in der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung vorgesehen, zielt darauf ab, mittelfristig eine engere Kooperation mit EU-Mitgliedstaaten herzustellen. Durch diese Zusammenarbeit wird ein koordinierter Markthochlauf ermöglicht, gemeinsame Standards festgelegt, Abstimmungen erleichtert und koordinierte Importe ermöglicht.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Großteil des in Deutschland benötigten Wasserstoffs langfristig durch Importe aus dem Ausland abgedeckt wird. Laut gängigen Szenarien werden rund 50 bis 70 Prozent des Wasserstoffbedarfs importiert. Infrastrukturprojekte von gemeinsamem Interesse (PCI/PMI) spielen eine wichtige Rolle im Wasserstoff-Kernnetz-Szenario und verbinden die Energiesysteme der EU-Mitgliedstaaten. Weitere Informationen zu den Annahmen bezüglich der Grenzübergangspunkte im Wasserstoff-Kernnetz sind im Anhang des aktuellen Antrags der FNB zu finden.
Letztlich ist das deutsche Wasserstoff-Kernnetz eine Art Schlagader für die klimaneutrale Zukunft. Unbedingt notwendig und mit 20 Milliarden Euro überschaubar bepreist. Mit dem Beginn der Bautätigkeit in wenigen Monaten rund um das Wasserstoffnetz wird die Planung konkreter Zubringer und kleinerer Leitungen beginnen. Vor allem die mittelständische Wirtschaft – auch davon gibt es reichlich Unternehmen, die energieintensiv sind und auf Wasserrstoff umstellen können – dürfte sich rege daran beteiligen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.