Karliczek will grünen Wasserstoff aus Australien und Afrika importieren.
Es ist eine der Kernfragen der deutschen Energieversorgung der Zukunft: Wie kann im Zuge der Energiewende der gigantische Wasserstoff-Bedarf der Industrie gedeckt werden? Die Sicht der Bundesregierung dazu will Bundesforschungsministerin Anja Karliczek im Februar in der Nationalen Wasserstoffstrategie geben. Die Kurzfassung hat sie jetzt in einem Spiegel-Interview angedeutet: Die Regierung ist mit Australien und afrikanischen Ländern im Gespräch.
Die Gedanken der Bundesregierung rund um die Wasserstoffstrategie sind eindeutig: Deutschland entwickelt Windkraftanlagen, Elektrolyseure und Anlagen zur Meerwasserentsalzung und liefert diese Technologien nach Afrika oder Australien. Dort, wo die klimatischen Bedingungen für die energieintensive Wasserstoff-Herstellung per Elektrolyse besonders gut sind.
Im Interview mit DER SPIEGEL sagte Anja Karliczek, Deutschland bleibe auch in Zukunft von Importen abhängig. Grüner Wasserstoff werde auch in Deutschland produziert, aber größtenteils importiert. „Er ist für mich der Energieträger der Zukunft“, so die Forschungsministerin. Er habe das Zeug, die Energiewende wirklich ins Ziel zu bringen. „Und er kann außerdem in der Industrie CO2-Emissionen unschädlich machen.“
Dekarbonisierung: Wasserstoff-Bedarf der Industrie
Will Europa bis 2050 klimaneutral werden, muss insbesondere die Stahl-, Chemie- und Zementindustrie ihren Beitrag beitragen. Das funktioniert auch, vorausgesetzt diese Industrien investieren in den kommenden Jahrzehnten gezielt in entsprechende Prozesse. Aber: Für die meisten alternativen Herstellungsprozesse sind große Mengen grüner Wasserstoff notwendig.
Ein Beispiel: Die Chemiebranche beispielsweise kann ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um 61 Prozent reduzieren – notwendig ist dafür allerdings eine immense Menge erneuerbarer Energie. Konkret, so schätzen die Verbände VCI und Dechema, 224 Terawattstunden pro Jahr. Das entspricht der gesamten Menge an Ökostrom, der 2018 in Deutschland produziert wurde.
Bei vollständiger Klimaneutralität würde der Strombedarf ab Mitte der 30er Jahre schnell steigen und am Ende ein Niveau von 628 Terawattstunden erreichen. Das ist so viel wie die heutige Stromproduktion Deutschlands. [Roadmap Chemie 2050]
Wasserstoffstrategie: Hoher Importanteil
Angesichts der gigantischen Mengen, die alleine Deutschland für Klimaneutralität benötigt, ist Ihre Idee sei, dass Deutschland den Energiebedarf zu 50 Prozent aus importiertem, nachhaltig erzeugtem Wasserstoff decken werde. 25 Prozent könnten aus heimischen Wind- und Solaranlagen gewonnen werden. „Wasserstoff hat das Potenzial zum Klimaretter“, so Karliczek.
„Wir sind mit Australien im Gespräch und vor allem mit afrikanischen Staaten“, so die Ministerin im Interview. Mit diesen Staaten könne der erwähnte Kreislauf in Gang gesetzt werden: Technologie gegen Verkauf von grüner Energie. Auch für den Transport des grünen Wasserstoffs hat Karliczek eine Idee: als Ammoniak per Schiff. Durch die Reaktion von Wasserstoff mit Stickstoff entsteht genau diese Verbindung aus H- und N-Atomen.
In Australien hat der britische Industriegaskonzern BOC zusammen mit Toyota, Hyundai und BMW sowie der australischen Wissenschaftsagentur CSIRO schon 2018 eine Membrantechnologie entwickelt, die ultrahochreinen Wasserstoff von Ammoniak trennt und gleichzeitig alle anderen Gase blockiert. Man spricht auch von der Umkehrung des Haber-Bosch-Verfahrens. [Electrive News vom 9.8.2018]
Denkbar wäre allerdings auch eine Lieferung von Wasserstoff per Pipeline, etwa aus Russland auf Basis von Erdgas. Gazprom oder Wintershall DEA arbeiten derzeit am Verfahren der Methan-Pyrolyse. Dabei entsteht im Unterschied zum bisherigen Verfahren kein gasförmiges CO2, sondern fester Kohlenstoff, der als Dünger in Böden eingebracht werden kann.
Wenn Russland entsprechend in seine Pipelines investiert, könnte die Dekarbonisierung des Erdgases noch direkt in der Nähe der Förderquelle des Erdgases stattfinden. Ob damit der Nachteil der u.a. durch das Auftauen von Böden undichten Erdgas-Pipelines gelöst werden könnte, steht aber in den Sternen. Derzeit treten durch Lecks immer wieder größere Mengen Methan aus – bekanntlich das wirksamere Klimagas im Vergleich zu CO2.
Wasserstoff für saubere Mobilität?
Will die Ministerin den Wasserstoff dann auch für die Mobilität etwa von PKWs einsetzen? Nicht unbedingt. Deutschland fördere seit zehn Jahren die Batterietechnik mit Blick auf Elektroautos. Dazu investiere man in die Wasserstofftechnik und erforsche synthetische Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren – „was sich für die PKW als das Beste herausstellen wird, entscheidet später der Wettbewerb.“
Aus Sicht von Karliczek werde Wasserstoff zuerst in der Industrie genutzt – da werde es Erfolge geben. Anschließend werde der grüne Wasserstoff auch für andere Bereiche immer interessanter werden. Nach einigen Verzögerungen will Karliczek die Nationale Wasserstoffstrategie zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und ggf. weiteren Ministern im Februar 2020 präsentieren.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.