Neuer Weltklimarat-Chef Skea: Was der Brite wirklich sagt – und was BILD daraus macht

„BILD“ reißt Zitat von Weltklima-Chef Skea aus dem Kontext und behauptet: „Weltklima-Chef hat genug von Klima-Panik.“

Was sich die Bild-Zeitung hier wieder geleistet hat, macht sprachlos: Das Zitat vom neuen Weltklimarat-Chef Skea wird aus dem Kontext gerissen und damit ein vollkommen falscher Eindruck erweckt. Es ist an der Zeit für Gegenrede und Aufklärung, was der Brite, Physiker und Klimawissenschaftler Jim Skea im SPIEGEL-Interview wirklich gesagt hat – und was seine Aussagen für uns alle zu bedeuten haben. Hier gibt es die volle Analyse bei Cleanthinking.

Die Springer-Presse behauptet in einem am 29. Juli 2023 erschienen Artikel, der „Weltklima-Chef hat genug von Klima-Panik“. Denn: „Bei 1,5 Grad Erwärmung geht die Welt nicht unter.“ Die erste Interpretation der BILD: „Weniger Panik, mehr Verstand.“ Mir ist nicht bewusst, dass Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär, oder Ursula von der Leyen oder andere Entscheider derzeit im Panikmodus wären. Eher die das Gegenteil der Fall. Die Interpretation der Bild-Zeitung ist somit mit „irreführend“ freundlich umschrieben.

Der zweite Interpretationsversuch der Worte der Boulevard-Presse von Weltklimarat-Chef Skea: „Untergangsszenarien à la Klima-Kleber blockieren im Kampf gegen die Klimakrise.“ Auch dieser Interpretationsversuch ist die Ressourcen nicht wert, die für dessen Verbreitung aufgebracht wurden.

Womöglich hat die fehlerhafte Interpretation mit einem großen Missverständnis zu tun, das von der Springer-Presse bewusst unaufgeklärt bleibt: Die „Letzte Generation“ sagt nicht, dass wir die „Letzte Generation“ seien, die als Menschheit noch überleben würden. Der Name hat mit dem Ausspruch von Klimaforscher Stefan Rahmstorf zu tun, der vor einigen Jahren sagte, wir seien die „Letzte Generation“, die die schlimmsten Folgen von Erderwärmung und Klimawandel noch durch beherztes Gegensteuern abmildern könnten.

Was ist der Klimawandel – Ursachen und Folgen?

Was hat Weltklimarat-Chef Skea WIRKLICH gesagt?

Nichts Anderes sagt übrigens Jim Skea, der neue Chef des Weltklimarates IPCC und jahrezehntelange Klima-Mahner. Grundsätzlich zum Klimawandel sagt der Brite folgendes:

Der Klimawandel ist da. Wir können ihn nicht mehr leugnen. Der Mensch hat diese globale Krise verursacht und dem Planeten massiv geschadet. Nun geht es darum, noch Schlimmeres zu verhindern.

Weltklimarat-Chef Skea, IPCC (Link zum Profil bei Twitter)

Und seine Einschätzung zum 1,5-Grad-Klimaziel des Pariser Übereinkommens ist unmissverständlich: „Bereits in diesem Jahrzehnt könnten einzelne Jahre die 1,5-Grad-Marke überschreiten, das stimmt. Wann das dauerhaft geschieht, wissen wir nicht genau. Dieses Temperaturziel ist unglaublich symbolträchtig. Trotzdem sollten wir nicht verzweifeln und in eine Schockstarre verfallen, wenn die Welt die 1,5 Grad überschreitet. Jede Maßnahme, die wir ergreifen, um den Klimawandel abzuschwächen, hilft. Klimaschutz
ist immer kostengünstiger und schützt Menschen vor den dramatischen Folgen der Erwärmung. Das gilt umso mehr, wenn wir das Pariser Klimaziel überschritten haben.“

Der Wissenschaftler ruft also in Wahrheit dazu auf, nicht zu verzweifeln und in eine Schockstarre zu verfallen, wenn das 1,5-Grad-Ziel für einige Jahre gerissen wird. Hier wird deutlich, wie bewusst seine Aussage von der Springer-Presse falsch interpretiert wird. Und dann ist da noch der Satz, den die BILD-Zeitung richtig zitiert, ihn aber komplett aus dem Kontext reißt:

Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad wärmer wird. Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben. Und dennoch ist das keine existenzielle Bedrohung für die Menschheit. Wir werden auch bei 1,5
Grad Erwärmung nicht aussterben.

Klimaforscher und Weltklimarat-Chef Jim Skea im SPIEGEL.

Der neue Weltklimarat-Chef Skea warnt also in eindringlichen Worten vor dem Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze. Wir steuern auf eine „gefährlichere Welt“ zu, in der soziale Spannungen zunehmen werden. Einzige Nuance einer Einschränkung: „Das ist keine existenzielle Bedrohung für die Menschheit.“ Die Menschheit werde auch bei 1,5-Grad globaler Erderwärmung nicht aussterben. DAS behauptet im Grunde auch niemand, der sich auf die seriöse Wissenschaft beruft.

Jim Skea und John Dorr von RethinkX

Im weiteren Verlauf des Spiegel-Interviews betont Jim Skea geschickt die Bedeutung der erneuerbaren Energien und den schnellen Ausstieg aus fossilen Energieträgern (mehr zur Energiewende gibt es hier). Die Technologien, die wir bräuchten, um die Klimakrise abzumildern, seien verfügbar. Wir müssten sie nur einsetzen. Und genau hieran hakt es derzeit in der Weltgemeinschaft gewaltig – das sieht auch Jim Skea so. Seine Vita ist hier zu finden.

Und hier sind wir ganz nah bei dem, was Cleanthinking beinahe täglich berichtet: Wir müssen auf die großen, disruptiven Veränderungen in den Sektoren Energie, Verkehr und Ernährung sowie Arbeit achten, und deren „disruptiven Wandel“ steuern und beschleunigen. Wie das geht, beschreibt John Dorr vom Think Tank RethinkX in seinem brillanten Buch „Brighter“, das hier auf Englisch zu bekommen ist.

Kostenlos verfügbar ist übrigens eine großartige Video-Serie des Umweltforschers und Disruptions-Experten Dorr:

John Dorr hat gemeinsam mit seinem Partner Tony Seba niedergeschrieben, welche sauberen Technologien (Cleantech) es braucht, um die CO2-Emissionen um 90 Prozent zu reduzieren – und zwar sehr, sehr schnell. Zu „Rethinking Climate Change“ gibt es hier einen Beitrag.

Fazit und Einschätzung von Martin Jendrischik

Der neue Weltklimarat-Chef Skea hat eine unaufgeregte Tonalität gesetzt, und unterscheidet sich damit ein wenig von früheren IPCC-Chefs und deren Aussagen. Die Fehlinterpretation der BILD-Zeitung, die unterschwellig suggeriert, es sei alles halb so wild, ist dreist und fehlleitend. Derzeit ist „Weltklimarat-Chef Skea“ sogar ein Trend-Hashtag auf Twitter – und die Missinterpretation wird von denen, denen Klimaschutz zu weit geht, abgefeiert.

Das wird ein harter Aufschlag, wenn die eines Tages erkennen, wie falsch sie liegen. Hier gibt es Hintergründe zum Thema „heißester Juli“.

Letztlich ist die Botschaft glasklar: Wir haben die Technologien, die es braucht, um die Kohlendioxid-Emissionen, die maßgeblich für den Treibhauseffekt und die Erderwärmung sind, zu reduzieren. Und: Natürlich gibt es keinerlei Entwarnung im Hinblick auf Klima-Kipppunkte, die ab dem Temperaturniveau von 1,5 Grad Celsius mehr im Vergleich zu vorindustriellem Zeitalter, unumstößlich passieren können.

Entscheidend ist aber: Jede Aktivität, die wir JETZT tun können, reduziert unsere künftigen Probleme. Und seien es „nur“ wirtschaftliche Probleme durch die Anpassung an höhere Temperaturniveaus. Dieser Sommer zeigt überall auf der Welt, dass das nur sehr bedingt möglich ist (vgl. Klima-Ticker). Packen wir es an. Und zwar unverzüglich und ohne Kompromisse.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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