Ausschreibungsdebakel verschärft Krise der deutschen Windkraftindustrie.
Grundsätzlich haben ich, wenn ich mich in der Cleantech Community umhöre und im Land umschaue, das Gefühl: Es hat sich seit einem Jahr zirka etwas bewegt in den Köpfen vieler Menschen, die zuvor still mit angesehen haben, wie rechtsgerichtete Kräfte das Land wieder in ein Desaster führen. Inzwischen nimmt die Erreichung der Klimaziele den Raum ein, der dieses bedeutende Thema auszeichnet. Aber: Kommt die sich andeutende Veränderung in der Politik zu spät für die Windkraftindustrie?
Wenn Prof. Christian Breyer über die Energiewende in Deutschland spricht, redet er von „homöopathischen Dosen“, in denen derzeit die Erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Und Breyer hat leider Recht: Die deutsche Windkraftindustrie wird gerade volle Kanne gegen die Wand gefahren.
Im Mai 2019 wurden laut IWR ganze neun (!) Windkraftanlagen genehmigt. Onshore-Windkraftanlagen kamen seit Jahresbeginn gerade einmal 60 hinzu. Die deutschen Unternehmen leiden unter dieser Zubau-Flaute. Das entspricht einer Leistung von 196 Megawatt. Geht es in diesem „Tempo“ weiter, werden nicht einmal 500 Megawatt zugebaut – und für große Teile der Windkraftindustrie, die sich entscheidend auf Deutschland fokussiert, wird jede Rettung zu spät kommen.
IWR schreibt, dieses politisch herbeigeführte Szenario erinnere fatal an die Zeit als der heimische Photovoltaikmarkt innerhalb von zwei Jahren zwischen 2012 und 2014 zum Erliegen gebracht wurde. Problem aktuell sind die Ausschreibungsverfahren mit denen der Windmarkt zum Erliegen gebracht wird. Rettung für die Windkraftunternehmen könnte sein: Viele sind global aufgestellt und können sich auf andere Märkte konzentrieren – die Solarindustrie hatte diese Möglichkeit vor Jahren nicht.
Selbst im Offshore-Bereich sieht es nicht viel besser aus: Seit Beginn des Jahres sind nur 29 neue Offshore-Windturbinen mit einer Gesamtleistung von 174 Megawatt installiert worden. Bis 2030 sollen 20 Gigawatt Offshore-Windkraft entstehen – dieses Ausbauziel ist weit entfernt, wenn so wenig gelingt.
Dabei liegt der Einbruch nicht nur an der Politik, sondern auch an den Bürgern, die versuchen, ihre Interessen vor ihren Haustüren durchzusetzen. Auch der Ausbau der Stromleitungen verzögert sich dadurch immer weiter. Und schon werden Stimmen laut, die eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten fordern.
Einige Lichtblicke gibt es unterdessen am Horizont: Mit dem neuen Umweltminister will Bayern beispielsweise beim Ausbau der Windkraft wieder Fahrt aufnehmen – trotz mancher Widerstände. Und Bundesumweltministerin Svenja Schulze betonte unlängst erstnals öffentlich, es brauche deutlich mehr Windkraftausbau.
Experten wie Breyer, Prof. Claudia Kemfert oder Prof. Volker Quaschning sind davon überzeugt, dass Wind- und Solarenergie, kombiniert mit Methan oder Wasserstoff als saisonaler Langzeitspeicher Deutschlands und Europas Energieversorgung werden abdecken können. Unter anderem auch deshalb, weil das Energiesystem übergreifend, also sektorkoppelnd, gedacht werden müsse. Wärme und Mobilität sind dann insbesondere für die Flexibilisierung zuständig.
Aber funktionieren wird das nur, wenn unverzüglich auf einen Pfad des Windenergie-Ausbaus zurückgekehrt wird, der mit homöopathischen Dosen so rein gar nichts mehr gemein hat. Geschieht das nicht, bleibt die Lage für die deutsche Windkraftindustrie mehr als bedrohlich.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.