Während Kretschmann ein Investment für zu risikoreich hält, wollen Wissing und Söder 150 Millionen Euro bereitstellen.
Volocopter aus Bruchsal hat gewaltige Herausforderungen vor sich – Wissing und Söder wollen helfen: Das Cleantech-Unternehmen will in diesem Jahr als erster europäischer Anbieter einen kommerziellen Flugtaxi-Service starten. In Frage kommt dafür speziell Paris – im Idealfall soll die Aufmerksamkeit der Olympischen Spiele genutzt werden. Doch laut einem Bericht des SPIEGEL klemmt es an zwei Stellen: Einerseits fehlt weiterhin die Musterzulassung von EASA bzw. Luftfahrtbundesamt. Andererseits braucht das Unternehmen bis zum Start des kommerziellen Flugbetriebs frisches Kapital.
Gegen den Rat der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) wollen Bundesverkehrsminister Volker Wissing und die Bayerische Staatsregierung mit Söder und Aiwanger Volocopter mit Steuerzahlergeld in Höhe von 150 Millionen Euro helfen. Das von den Prüfern als Hochrisiko-Investment abgelehnte Vorhaben passiert ausgerechnet in einer Phase, in der Finanzminister Christian Lindner Milliarden-Einsparungen im Ministerium von Parteifreund Wissing durchsetzen muss.
Update: Seit April ist klar, dass die Finanzlücke bei Volocopter bleibt
Die Lage ist klar: Bevor der kommerzielle Volocopter-Betrieb starten kann, braucht das Cleantech-Unternehmen aus der Nähe von Karlsruhe frisches Kapital. Dem SPIEGEL berichtet CEO Dirk Hoke von einem „extrem herausfordernden Investitionsumfeld“. Daher braucht es offenbar Geld vom Steuerzahler, um endlich in die Phase des Geldverdienens eintreten zu können.
Während Volker Wissing auf den Start des kommerziellen Flugbetriebes zum Jahreswechsel hofft, ist die Landesregierung von Baden-Württemberg ganz offenbar weniger optimistisch. Schon 2023 entschied Ministerpräsident Winfried Kretschmann, das Bundesland werde sich nicht an einer Finanzierung in Höhe von 300 Millionen Euro beteiligen. Ende 2023 begründete der grüne Politiker diese Entscheidung in einem Brief an den FDP-Minister.
Wissing und Söder wollen helfen
Pikant: Bei der weiterführenden Suche nach öffentlichen Geldern oder Garantien hat sich nun offenbar die Bayerische Staatsregierung bereit erklärt, mitzumachen. Eine Beschäftigung des Landeskabinetts mit dem Thema am vergangenen Mittwoch wurde aber kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen. Würde Bayern Volocopter finanzieren, würde das in der Region München ansässige Lufttaxi-Startup Lilium Aviation leer ausgehen.
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Und ein weiterer Aspekt ist rund um den Deal von Wissing und Söder verwirrend: Die liberale Partei ist sonst strikt gegen Subventionen, will aber nun ausgerechnet einem Flugtaxi-Unternehmen höchst risikoreich unter die Arme greifen? Ob das wirklich zum Selbstverständnis der Partei passt, ist zumindest fragwürdig.
Wo wird der Volocity fliegen?
Grundsätzlich steht Winfried Kretschmann zum Unternehmen aus seinem Bundesland. Medial verkündete er, er würde im Volocity mitfliegen und halte das Fluggerät für eine Möglichkeit, Staus zu reduzieren. Auch bei Meilenstein-Terminen in Bruchsal ist der Ministerpräsident gerne vor Ort. Trotzdem vertritt er eine fundamental andere Position als Wissing und Söder, was die Vergabe von staatlichem Geld oder Garantien nach Bruchsal angeht.
Wo wird der Volocity also fliegen? Aktuell ist neben Paris vor allem Rom als erster Schauplatz für kommerzielle Volocity-Flüge im Gespräch. Ob es noch 2024 zum wichtigen Durchbruch für die eVTOL-Industrie wird – ungewiss.
Ein Grund, wieso Wissing und Söder sowie Aiwanger das Unternehmen unterstützen wollen, könnte die Partnerschaft sein, die Volocopter mit dem ADAC und speziell dessen Luftrettung seit 2019 verbindet. Diese Verbindung wurde zuletzt untermauert – mit Ziel, bei der nächsten Generation der Multikopter zusammenzuarbeiten.
Berliner Flugtaxi-Pläne?
In Deutschland hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, den Einsatz von Volcocity-Fluggeräten in Berlin in Aussicht gestellt. Seitdem die Medien darüber berichtet haben im vergangenen Sommer 2023, ist es aber still geworden um die Flugtaxi-Pläne Berlins. Eines ist klar: Selbst wenn sich das Projekt in der Bundeshauptstadt konkretisieren sollte – schnell wird die Umsetzung kaum sein. So ist eher von einem möglichen Projektstart in den 30er Jahren auszugehen…
Ob Wissing und Söder sowie Wegner bis dahin noch in Amt und Würden sind?
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.