
Energiedurcheinander? Wall Street Journal greift Energiewende an: Warum die Kritik übertrieben ist
Das Wall Street Journal (WSJ) bezeichnet Deutschlands Energiewende als „Energiedurcheinander„: „Deutschland hat so viele Hunderte Milliarden Euro in seine grüne Energiewende investiert […], doch der Anteil von Wind- und Solarenergie am Energiemix des Landes ist im ersten Quartal dieses Jahres deutlich gesunken.“ Die Energiewende sei ein „Energiedurcheinander“, das Land „abhängig vom Wetter“ und „kein Beispiel, dem man folgen solle“. Grund für die Kritik: Trotz Ausbau produzierten Erneuerbare Energien 2025 weniger Strom als im Vorjahr, bedingt durch windarme Monate und eine normalisierte Wasserkraft. Doch die WSJ-Darstellung ist übertrieben. Sie überhöht einen wetterbedingten Rückgang, ignoriert den langfristigen Erfolg der Energiewende und verschweigt entscheidende Fortschritte. Deutschland bleibt ein Vorreiter für Klimaneutralität – und die Zahlen beweisen es.
Der WSJ-Artikel: Fakten und Verzerrungen
Das WSJ-Meinungsstück „When the Wind Didn’t Blow in Germany“ stützt sich auf Daten von BDEW und ZSW: Im ersten Quartal 2025 erzeugten Erneuerbare-Energien-Anlagen 63,5 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) Strom – 16 Prozent weniger als die 75,9 Mrd. kWh im ersten Quartal 2024. Der Anteil am Stromverbrauch fiel von 62,9 Prozent auf 46,9 Prozent, ein Rückgang um 16 Prozentpunkte. Der WSJ schlussfolgert: „Erneuerbare alleine können eine Industrienation nicht mit Energie versorgen.“

Diese Darstellung ist selektiv. Der Rückgang ist, wie das WSJ selbst erwähnt, auf eine „Dunkelflaute“ – windschwache Monate Februar und März – zurückzuführen. Doch es suggeriert, solche Schwankungen machten die Energiewende unmöglich. Dabei verschweigt der Artikel, dass Deutschland massiv in Speicher, Netzausbau und grünen Wasserstoff investiert, um solche Schwankungen auszugleichen.
Ebenso wird der Rekordzubau bei Photovoltaik (17 Gigawatt im Jahr 2024) heruntergespielt: „„Der März war sonniger als üblich, was die Solarstromproduktion ankurbelte… aber wir reden hier von Deutschland im März.“ Tatsächlich deckte die Photovoltaik im ersten Quartal 2025 zehn Prozent des Stromverbrauchs – ein Erfolg, der im WSJ kaum Beachtung findet.
Die ideologische Schlagseite des WSJ, der unter Rupert Murdoch eine konservative Linie verfolgt, zeigt sich in der Behauptung, Deutschlands „Energiedurcheinander“ („energy mess“) sei eine Warnung für andere. Doch die Energiewende ist kein Chaos, sondern ein komplexes Transformationsprojekt, das trotz temporärer Rückschläge beeindruckende Fortschritte macht.
Die Wahrheit über die Energiewende
Die deutsche Energiewende ist ein langfristiger Erfolg, wie die Entwicklung der Erneuerbaren zeigt:
- Langfristiger Aufwärtstrend: 2020 deckten Erneuerbare 46 Prozent des Stromverbrauchs, 2023 waren es 52 Prozent, 2024 sogar 55–59 Prozent – ein Rekord. Der Rückgang auf 46,9 Prozent im ersten Quartal 2025 ist eine wetterbedingte Schwankung, kein Scheitern.
- Photovoltaik-Boom: 2024 wurden 17 Gigawatt neue PV-Kapazität installiert, nach 15,3 Gigawatt 2023. Im ersten Quartal 2025 stieg die PV-Erzeugung um 32 Prozent auf 13,3 Mrd. kWh, was zehn Prozent des Verbrauchs abdeckte. „Die Zahlen unterstreichen einmal mehr: Windenergie und Photovoltaik sind DIE Säulen unserer Energieversorgung – heute und noch mehr in Zukunft“, sagt Prof. Dr. Frithjof Staiß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des ZSW.
- Windenergie: Die Windkraftproduktion sank im ersten Quartal 2025 um 22 Prozent (onshore) und 31 Prozent (offshore) auf 33,3 Mrd. kWh, bedingt durch windschwache Monate. Dennoch kamen seit April 2024 872 neue Windturbinen mit 4,3 Gigawatt hinzu.
- Wasserkraft: 2024 erlebte die Wasserkraft durch hohe Niederschläge einen ungewöhnlichen Peak (21 Mrd. kWh). Im ersten Quartal 2025 sank die Erzeugung um 26 Prozent auf das Niveau von 2023 (ca. 3 Prozent des Verbrauchs) – ein normaler Rückgang nach einem Ausnahmejahr.
„Wind- und Solarenergie leisten einen zentralen und stetig wachsenden Beitrag zur Deckung unseres Strombedarfs – das ist ein großer Erfolg der Energiewende“, betont Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Die 63,5 Mrd. kWh aus Erneuerbaren im ersten Quartal 2025 (47,9 Prozent der Stromerzeugung) zeigen ihre Stärke, trotz windarmer Monate.
Lösungen für Schwankungen
Wetterbedingte Schwankungen wie die „Dunkelflaute“ sind kein Argument gegen die Energiewende, sondern eine Herausforderung, für die es Lösungen gibt. „Gerade grünem Wasserstoff kommt eine Schlüsselrolle zu: Er verwertet erneuerbare Stromspitzen, speichert Energie kurzfristig oder saisonal und stützt in Kombination mit flexiblen Wasserstoffkraftwerken das Stromsystem“, erklärt Frithjof Staiß. Deutschland investiert in Batteriespeicher, Netzausbau und wasserstofffähige Gaskraftwerke, wie sie die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz plant (20 Gigawatt bis 2030).
Der WSJ kritisiert, dass solche Backup-Kraftwerke durch die Erneuerbaren unrentabel werden könnten. Doch moderne Gaskraftwerke sind auf Wasserstoff ausgelegt, um langfristig klimaneutral zu sein – ein Punkt, den der WSJ ignoriert. Kerstin Andreae fordert: „Die neue Bundesregierung solle verlässliche Investitionsanreize schaffen – mit mehr Speichern, neuen Flexibilitäten und einem Strommarkt, der die Bereitstellung von Flexibilität attraktiv macht.“
Warum die Energiewende ein Vorbild ist
Der WSJ behauptet: „„Deutschland ist auf dem Weg zu erneuerbaren Energien weiter fortgeschritten als viele andere große Volkswirtschaften. Sein Energiedurcheinander reicht aus, um allen anderen klarzumachen, dass es kein Vorbild ist, dem man folgen sollte.“ Die Realität ist eine andere: Mit 55–59 Prozent Erneuerbaren im Jahr 2024 liegt Deutschland weit vor den USA, wo der Anteil 2024 bei unter 20 Prozent lag (EIA). Die Energiewende schafft Arbeitsplätze, reduziert die Abhängigkeit von fossilen Importen und ist ein Modell für Klimaneutralität.
Auf Plattformen wie X verbreiten kritische Stimmen den WSJ-Artikel, oft ohne die Bezahlschranke überwunden oder die Fakten geprüft zu haben. Doch die Energiewende ist kein „Energiedurcheinander“, sondern ein Transformationsprozess, der trotz Herausforderungen voranschreitet. Deutschland zeigt, wie Wind, Sonne und Wasserstoff eine nachhaltige Zukunft ermöglichen.
Schluss: Ein Blick nach vorn
Das WSJ mag die Energiewende als Fehlschlag darstellen, doch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Deutschland ist auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft. Der Rekordzubau bei Photovoltaik, die Stärke der Windenergie und die Entwicklung von Wasserstofftechnologien beweisen, dass die Energiewende funktioniert. Statt sie zu kritisieren, sollten andere Länder ihre Dynamik nutzen – mit Speichern, flexiblen Kraftwerken und einem starken politischen Willen. Deutschland bleibt ein Vorbild, auch wenn der Wind mal weniger weht.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.